Die aktuelle Dürre in Europa hat zu niedrigsten Wasserständen der deutschen Flüsse geführt. Einige von ihnen wie der Rhein, die Donau und die Elbe sind für die Wirtschaft als Wasserwege unverzichtbar. Inzwischen fahren aber Lastkähne nur noch mit 30 bis 50 % der üblichen Fracht, manchmal müssen sie Transporte auch zeitweise aussetzen. Doch eine Herrichtung deutscher Wasserwege für Dürren dürfte noch Jahrzehnte dauern (Wirtschafts Kurier, 16.08.2022)
Unzulängliche Vorbereitung auf Dürre-Szenarien
Experten kritisieren aktuell, dass es beleibe nicht das erste Niedrigwasser in deutschen Flüssen ist. Zwar gilt die gegenwärtige Dürre als die schlimmste der letzten 500 Jahre, dennoch gab es auch schon früher bedenkliches Niedrigwasser in deutschen Wasserstraßen. Im Rhein beispielsweise wurde es in den letzten 50 Jahren schon vier Mal (vor 2022) gemessen, nämlich in den Jahren 1971, 1972, 2003 und 2018. Jedes Mal reagierte reflexartig die Politik mit bedeutsamen Ankündigungen. Passiert ist aber hinterher nichts. Während nun in früheren Jahrzehnten die Folgen höchstens rein finanzieller Natur waren, könnten sie dieses Mal einen Blackout auslösen. Die Kohle nämlich, die deutsche Reservekraftwerke gerade dringend benötigen, wird zu einem großen Teil über Flüsse transportiert. Viele der Kohlekraftwerke wurden extra deshalb an Flüssen gebaut. Deutschland importiert schon seit Jahrzehnten Steinkohle aus aller Welt und kann auch in der gegenwärtigen energetischen Notsituation darauf setzen. Doch die Kohle kommt in niederländischen Häfen an, so etwa in Amsterdam, von wo aus sie über den Amsterdam-Rhein-Kanal ins deutsche Inland verschifft wird. Das klappt nur, wenn der Rhein überhaupt ausreichend beschiffbar ist.
Folgen für die Binnenschifffahrt bei Dürre
Die Binnenschifffahrt leidet unter dem Zustand auch finanziell, weil sie die erhöhten Kosten nicht 1:1 an die Endkunden weitergeben kann. Sie müsste zu diesem Zweck die Frachtkosten pro Tonne verdoppeln und verdreifachen, wenn ein Schiff pro Tour nur 30 bis 50 % laden kann. Wahlweise spielen da die Endkunden nicht mit, oder die Schiffer wagen es nicht, solche Aufschläge in voller Höhe zu erheben. Auch sie hoffen zwangsläufig auf besseres Wetter, was in diesem Fall mehr Regen und damit steigende Flusspegelstände bedeutet. Nun gibt es erste Berichte, dass Binnenschiffer nicht mehr kostendeckend arbeiten können. Das ist gefährlich, es könnte einige von ihnen in die Insolvenz treiben. Ein Binnenschiffer hat (wie die meisten Spediteure) unglaublich hohe Kosten, aber nur eine winzige Gewinnmarge im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Er kann schnell ins Minus wirtschaften.
Folgen für die Verbraucher
Die Verbraucher, unter ihnen private, gewerbliche, industrielle und öffentliche Kunden, spüren die Folgen des Niedrigwassers an den Preisen. Auf den Wasserwegen werden beispielsweise auch Benzin, Diesel, Rohöl, Heizöl, Chemikalien, Lebensmittel wie Salz und Getreide, Futtermittel sowie Grundstoffe für die Bauindustrie transportiert. Für diese Güter steigen zwangsläufig die Preise. Private Verbraucher klagen beispielsweise über erhöhte Kraftstoff-, Heizöl- und Lebensmittelpreise, die verarbeitenden Betriebe müssen Rohstoffe viel teurer als üblich einkaufen, was ihre Margen schmälert. In einigen Fällen reißen auch Lieferketten, was zu Produktionsstopps führt. Längerfristig wird dieser Zustand die deutsche Konjunktur belasten.
Welche Problemlösungen gibt es?
Die Logistikbranche muss zunächst auf kurzfristige Problemlösungen setzen. Diese haben allerdings beträchtliche Nachteile und verursachen Kollateralschäden. Die Ware wird, so es möglich ist, auf die Schiene verladen. Nun hat die Deutsche Bahn bereits gemeldet, dass ihre Kapazitäten bezüglich der verfügbaren Zugmaschinen und Waggons sowie des Personals an ihre Grenzen gelangt sind. Daher gelangt ein größerer Teil der Güter auf dem Straßenweg zu den Abnehmern. Das verursacht Staus und ist überdies bezüglich der möglichen Kapazität kein Vergleich mit der Binnenschifffahrt, die mit einer Tour ein Vielfaches von Lastwagen- und auch Zugladungen transportieren kann. Das Bundeswirtschaftsministerium hat nun die Bevorzugung des Güterzugverkehrs veranlasst, was im Personenverkehr der Bahn die Verspätungen noch deutlich verschärft.
Wann kommen bessere Wasserstraßen?
Das steht leider in den Sternen. Der BdB (Bundesverband der deutschen Binnenschifffahrt) verweist auf den Planungsstau. Die Bundesregierung habe unlängst selbst eingeräumt, dass fast alle neuen Flussausbauvorhaben des Bundesverkehrswegeplans von 2016, die seither sogar im Wasserstraßenausbaugesetz stehen, bislang kaum über das erste Planungsstadium hinausgekommen sind. Der Baubeginn und erst recht die ersten Inbetriebnahmen könnten noch Jahrzehnte dauern. Das wichtigste Mittel wären Flussvertiefungen. Beim historischen Niedrigwasser des Jahres 2018 wurde genau ermittelt, wie tief sie ausfallen müssen. Auf diesen Weckruf haben aber die deutsche Politik und die ihr nachfolgende beschleunigungsresistente Bürokratie nicht reagiert, wie die Logistikverbände beklagen. Das Niedrigwasser von 2022 ähnelt dem von 2018. Es ist der Weckruf Nummer 2 innerhalb von vier Jahren. Die Politik muss ihn jetzt hören.
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