Im Vorfeld des Jahres 2030 besteht ein dringender Bedarf an zahlreichen neuen Gaskraftwerken. Diese sollen insbesondere als Sicherheitspuffer dienen, für die Zeiten, wenn erneuerbare Energien wie Wind und Sonne nicht genügend Energie erzeugen können. Allerdings ist derzeit noch ungewiss, wer diese enorm wichtigen Projekte in Angriff nehmen soll. (Handelsblatt, 26.05.2023)
Das Bundesministerium für Wirtschaft ist dabei, eine Strategie für den Bau neuer Kraftwerke zu erarbeiten. Diese soll potenzielle Investoren und Bauunternehmen dazu ermutigen, in den Kraftwerksneubau zu investieren. Leider sind die Einzelheiten dieser Strategie noch nicht öffentlich gemacht worden, was zu einer gewissen Unruhe in der Industrie führt. Die beteiligten Unternehmen fordern mehr Klarheit und betonen die Dringlichkeit der Situation.
In dieser unklaren Lage haben TransnetBW, ein bedeutender Übertragungsnetzbetreiber, sowie die Kraftwerksbetreiber Steag und GKM einen eigenen Lösungsvorschlag präsentiert. Sie schlagen die Einführung eines Vorschusses für den Neubau von Kraftwerken vor, um den Prozess zu beschleunigen und Investoren zu ermutigen.
Die drei Unternehmen, TransnetBW, Steag und GKM, fordern konkret, dass die bereits bestehenden Vergütungen für den Einsatz von Kraftwerken zur Netzstabilisierung, auch als „Redispatch“ bekannt, von Beginn an für neue Kraftwerksinvestitionen garantiert werden. Damit könnten diese Zahlungen ohne Risiko in die Investitionskalkulation eines Kraftwerkbetreibers einfließen. Der besondere Kniff dabei: Die Anreize zur Investition würden genau dort geschaffen, wo zukünftige Investoren einen großen Beitrag ihrer Kraftwerke zur Netzstabilisierung erwarten.
In anderen Worten, der Vorschlag würde den Neubau von Kraftwerken genau dort fördern, wo der Netzausbau hinter den Zielen zurückbleibt und neue Kraftwerke für die Netzstabilisierung sowieso unabdingbar sind. Solche Anlagen würden vermutlich in der Zukunft dringend als Backup benötigt, insbesondere in den westlichen und südwestlichen Teilen Deutschlands.
Dringender Handlungsbedarf für den Bau neuer Gaskraftwerke
Die Verantwortlichen hinter dem Vorschlag drängen auf schnelles Handeln. „Die notwendigen Entscheidungen müssen jetzt getroffen werden, damit ab 2030 eine möglichst große Zahl von Anlagen mit disponibler Leistung in Betrieb gehen können – die Zeit läuft“, betont Holger Becker, kaufmännischer Vorstand beim Großkraftwerk Mannheim (GKM).
Andreas Reichel, der Chef des Kraftwerkbetreibers Steag, unterstreicht die Notwendigkeit von Investitionssicherheit und einem Marktmodell, das nicht nur die Erzeugung von Strom, sondern auch die zur Verfügung gestellte Kapazität belohnt. Andernfalls könne die Energieversorgung in Gefahr geraten.
Reichel benennt damit den Kern des Problems. Es steht außer Frage, dass neue Gaskraftwerke gebraucht werden, um eine ausreichende Energieversorgung in Deutschland zu gewährleisten. Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, der bereits vollzogen wurde, und dem geplanten Kohleausstieg bis 2030, müssen bis dahin zusätzliche Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von bis zu 25 Gigawatt ans Netz gehen. Dies entspricht etwa 50 großen Kraftwerksblöcken.
Das Problem besteht jedoch darin, dass diese Kraftwerke aufgrund des wachsenden Anteils erneuerbarer Energien tendenziell immer seltener benötigt werden, um die Stromnachfrage zu decken. Daher zögern potenzielle Investoren, sich an diesen Projekten zu beteiligen, da sie befürchten, dass sich ihre Investitionen nicht auszahlen könnten.
Maßnahmen zur Netzstabilisierung als Vorschuss für Rentabilitätssicherung von Gaskraftwerken
Die Gelder, die Kraftwerksbetreiber bereits jetzt durch Maßnahmen zur Netzstabilisierung verdienen, könnten als Vorschuss zur Rentabilitätssicherung dienen. Derzeit werden diese Zahlungen nachträglich ausgeführt und sind zum Zeitpunkt der Investition ungewiss. Werner Götz, der Leiter des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW, argumentiert, dass diese Vorgehensweise eine kurzfristige und sehr kosteneffiziente Lösung für eine sichere und stabile Energieversorgung in der Zukunft darstellen könnte. Zudem würden sich die Gesamtkosten für das System nicht erhöhen.
Wie das Bundesministerium für Wirtschaft zu diesen Überlegungen steht, ist bislang unbekannt. Obwohl Minister Robert Habeck (Grüne) wiederholt betont hat, dass er Anreize für den Kraftwerksbau für unabdingbar hält, wurden noch keine konkreten Details veröffentlicht. Auf Anfrage erklärte das Ministerium, es arbeite an einer Strategie, die Instrumente enthalten soll, „die kurz- bis mittelfristig zu Investitionen in Neubauten und Modernisierungen von 25 Gigawatt steuerbaren Kapazitäten führen sollen“. Es werden Gespräche mit der EU-Kommission über beihilferechtliche Fragen geführt, und es wird erwartet, dass die ersten Ausschreibungen bis Ende des Jahres veröffentlicht werden.
Wachsende Unzufriedenheit in der Energiebranche aufgrund fehlender Klarheit und langwieriger Genehmigungsverfahren
Die Unzufriedenheit in der Energiebranche wächst, da die Uhr tickt. Es gibt Bedenken, dass das Ministerium komplexe Systeme einführt, die sich als unpraktisch erweisen könnten. „Die Unternehmen brauchen so schnell wie möglich Klarheit darüber, wie die Ausschreibungen im Rahmen der Kraftwerksstrategie aussehen werden“, sagt Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Sie betont auch die Notwendigkeit, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und eine positive Haltung bei den Genehmigungsbehörden zu fördern.
Um den geplanten Kohleausstieg bis 2030 zu erreichen, ist Eile geboten, um zusätzliche steuerbare Kapazität auszubauen, so Andreae. „Die Projektlaufzeiten im Kraftwerksbau liegen zwischen vier und sieben Jahren“, fügt die BDEW-Chefin hinzu.
Auch beim Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) wächst langsam die Ungeduld. „Der Energieanlagenbau benötigt jetzt schnell eine klare und verlässliche Perspektive, um langfristige Produktionskapazitäten bereitstellen zu können“, sagt Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer von VDMA Power Systems. Er betont die Notwendigkeit von möglichst marktnahen Ansätzen und fordert zudem einen Dialog mit der Branche über die geeigneten Rahmenbedingungen für Investitionen in die Versorgungssicherheit, insbesondere da die ersten Ausschreibungen noch in diesem Jahr stattfinden sollen.