Das Bundeswirtschaftsministerium hat ein umfassendes Konzept zur Sicherung der künftigen Stromversorgung in Deutschland entwickelt. Das über 100 Seiten lange Papier soll Wege aufzeigen, wie die Energieversorgung auch nach einem Kohleausstieg stabil bleiben kann. In der Energiebranche sorgt dieses Konzept jedoch für Diskussionen, da viele Unternehmen an bewährten Methoden festhalten möchten. (Handelsblatt, 26.10.2024)
Skepsis gegenüber dem hybriden Kapazitätsmarkt
Die Einführung eines sogenannten „hybriden Kapazitätsmarktes“ steht im Zentrum des Papiers. Dieser Ansatz wird von den Vorstandsvorsitzenden großer Energiekonzerne jedoch kritisch betrachtet. Sie äußern Bedenken hinsichtlich der Komplexität dieses Modells. RWE-Chef Markus Krebber erklärt, dass der deutsche Vorschlag „ziemlich kompliziert“ sei. In anderen Ländern existieren bisher ausschließlich zentrale Kapazitätsmärkte.
Unterstützung erhält er von Georg Stamatelopoulos, dem Chef von EnBW. Dieser verweist auf die Erfahrungen in Großbritannien und Belgien, wo zentrale Kapazitätsmärkte erfolgreich zur Versorgungssicherheit beitragen. Ein kombiniertes Modell hingegen sei laut Stamatelopoulos komplizierter und dadurch aufwendiger. Auch Uniper-Chef Michael Lewis sieht in einem zentralen Markt eine pragmatischere Lösung für die aktuellen Herausforderungen.
Bedeutung des Kapazitätsmarktes für die Stromversorgung
Ein Kapazitätsmarkt spielt eine entscheidende Rolle in der Umgestaltung der Stromversorgung Deutschlands. Während der Anteil erneuerbarer Energien im letzten Jahr bereits 56 Prozent des Stroms ausmachte, stammen noch immer 44 Prozent aus fossilen Energieträgern wie Kohle und Erdgas. Um die Stromversorgung auch bei schwankender Verfügbarkeit von Wind und Sonne sicherzustellen, müssen Kapazitäten bereitgehalten werden, die im Bedarfsfall aktiviert werden können.
Im derzeitigen System lohnt es sich für Betreiber nicht, Gaskraftwerke allein für Notfälle bereitzuhalten. Diese Kraftwerke würden zu selten Strom erzeugen, um profitabel zu sein. Ein Kapazitätsmarkt soll dieses Problem lösen, indem er den Betreibern Anreize bietet, Kapazitäten bereitzustellen, selbst wenn diese nicht ständig genutzt werden.
Zentrale versus hybride Kapazitätsmärkte
Die Diskussion um die Ausgestaltung eines Kapazitätsmarktes ist von großer Bedeutung, da sie die zukünftige Förderung bestimmter Kapazitäten beeinflussen wird. Ein zentraler Kapazitätsmarkt, wie er in mehreren europäischen Ländern bereits erprobt wurde, könnte rasch eingeführt werden und bevorzugt den Bau neuer Gaskraftwerke. Diese Lösung ist vergleichsweise einfach und lässt sich schnell umsetzen, birgt jedoch das Risiko, Deutschlands Abhängigkeit von Gas zu verlängern.
Ein hybrider Kapazitätsmarkt hingegen würde zusätzliche Optionen bieten. In diesem Modell könnten auch Batteriespeicher und flexible Stromverbraucher, wie etwa Elektroautos, eine größere Rolle spielen. Diese könnten genutzt werden, um in Zeiten von Überschussstrom aus erneuerbaren Energien Energie zu speichern und bei Bedarf wieder abzugeben. Hanns Koenig von der Energiemarktberatung Aurora Energy Research betont, dass ein hybrides Modell eine bessere Integration flexibler Nachfrage ermöglicht.
Fazit und Ausblick
Obwohl der hybride Kapazitätsmarkt in der Theorie auf eine klimafreundlichere Zukunft abzielt, ist er in der Praxis komplexer und unerprobter als das zentrale Modell. Es bleibt abzuwarten, welches System letztlich umgesetzt wird. Eines steht jedoch fest: Ab 2028 soll in Deutschland ein Kapazitätsmarkt – in welcher Form auch immer – etabliert sein, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und den Übergang zu einer nachhaltigeren Energieversorgung zu unterstützen.
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