In der vergangenen Woche produzierte Deutschland so viel Energie aus fossilen Quellen wie schon lange nicht mehr. Dies hat Auswirkungen auf die Preise für Gas, Strom und Benzin. Doch wie können wir aus der Kernkraft und Kohle aussteigen und gleichzeitig unsere Abhängigkeit von russischem Gas verringern? Wer heute einen Vertrag für Gas oder Strom abschließt, zahlt in der Regel immer noch mehr als vor der Energiekrise. Der Preisanstieg wird durch drastische Veränderungen auf den Beschaffungsmärkten ausgelöst, die durch den Ukraine-Krieg und die Sanktionen von Russland und der EU verursacht wurden (NZZ: 06.12.23).
Steigende Energiepreise: Auswirkungen auf Haushalte und Industrie
Bereits im Winter 2021/22 führten historisch niedrige Gasspeicherstände, insbesondere bei Gazprom Germania, zu stark steigenden Energiekosten. Diese Unruhe auf dem Gasmarkt hatte auch Auswirkungen auf die Strompreise. Obwohl die Preise mittlerweile gesunken sind, liegen sie immer noch über dem Niveau vor der Krise. In Deutschland werden viele Haushalte von Gasheizungen versorgt, und auch die Industrie ist ein großer Verbraucher. Die Preise am europäischen Gasmarkt sind nach wie vor höher als vor Beginn der Energiekrise im Herbst 2021. Die Energieversorger können kurzfristig Gas an den Energiebörsen beschaffen, und die Bundesnetzagentur hat im Sommer 2022 ebenfalls teures Erdgas eingekauft.
Die Großhändler am deutschen Strommarkt zahlen in der Regel mehr als vor dem Beginn der Energiekrise Ende 2021. Private Haushalte in Deutschland zahlen derzeit auch im Vergleich zu den meisten EU-Ländern deutlich mehr für Strom. Sowohl nach Kaufkraft als auch beim durchschnittlichen Nettopreis liegt Deutschland im EU-Vergleich auf den vorderen Plätzen. Dies bedeutet, dass Strom in Deutschland auch ohne Steuern und Abgaben teurer ist als in Ländern wie Frankreich, Schweden oder Spanien.
Die steigenden Energiekosten haben auch Auswirkungen auf die Preise von Industrieprodukten wie Düngemitteln, was wiederum die Weizen- und Lebensmittelpreise erhöht. Rohöl und Benzin sind ebenfalls teurer geworden aufgrund der Sanktionspolitik von Russland und der EU. Zeitweise kostete ein Liter Diesel in Deutschland mehr als vor der Einführung des Tankrabatts, während er in den meisten Nachbarländern günstiger ist.
Um während der Heizperiode Energie einzusparen, hat Deutschland neben der bereits aktiven Steinkohle auch die Braunkohlereserve wieder hochgefahren, wie im vergangenen Jahr. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 vereinbart.
Der steigende Anteil fossiler Brennstoffe in Deutschlands Strommix
Die Energiekrise führte dazu, dass Windräder und Photovoltaikanlagen nicht immer zuverlässig Strom lieferten. Infolgedessen stieg der Anteil fossiler Energieträger an der Stromerzeugung im letzten Jahr wieder an. Während einer dreiwöchigen Dunkelphase im Dezember 2022 erzeugte Deutschland sogar so viel Strom aus Kohle wie zuletzt im Januar 2017.
Wenn Deutschland nicht im Jahr 2011 aus der Kernkraft ausgestiegen wäre, wäre der Strommix heute umweltfreundlicher. Im Jahr 2010 erzeugte Deutschland etwa 130 Terawattstunden Strom aus Kernenergie, was etwa der Menge entspricht, die Deutschland im Jahr 2021 aus Braun- und Steinkohle produzierte. Viele Nachbarländer wie Frankreich, Dänemark, Österreich und die Schweiz verursachen bei der Stromerzeugung deutlich weniger Treibhausgasemissionen als Deutschland.
Der deutsche Atomausstieg hatte auch Auswirkungen auf die Strompreise am europäischen Markt. Eine Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ergab, dass der Weiterbetrieb der drei im April abgeschalteten Kernkraftwerke die Strompreise um 8 bis 12 Prozent gesenkt hätte, sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarländern.
Im April wurden die verbleibenden Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Seitdem importiert das Land so viel Strom wie nie zuvor. Dies liegt auch daran, dass es im Inland an Kapazitäten für günstige und kohlenstoffarme Stromerzeugung mangelt. Aufgrund hoher CO₂-Preise ist es für Deutschland wirtschaftlicher, Strom aus CO₂-armen Wasser- und Kernkraftquellen zu importieren, anstatt diesen mit den verbleibenden steuerbaren Kohlekraftwerken im Inland zu erzeugen.
Deutschland als Netto-Stromimporteur: Die Folgen der Energiekrise
Daher ist Deutschland erstmals seit 2002 wieder ein Netto-Stromimporteur und wird es voraussichtlich das gesamte Jahr über bleiben. Im Winter, wenn das Angebot knapp und die Nachfrage hoch ist, werden die deutschen Importe abnehmen und der Anteil von Kohlestrom wird steigen. Im Sommer wurden vor allem Stromimporte aus skandinavischen Ländern, den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz eingeführt.
Eine Analyse von Agora Energiewende zeigt, dass die direkten Importe von Atomstrom aus den Nachbarländern Deutschlands seit dem Atomausstieg im Durchschnitt mehr als verdoppelt haben. Die meisten Importe stammen jedoch weiterhin aus erneuerbaren Quellen, hauptsächlich aus Wasser- und Windkraft.
Deutschland setzt vermehrt auf den Import von Flüssiggas (LNG), da die Liefermengen über Pipelines im Vergleich zu den Vorjahren stark zurückgegangen sind. Russisches Gas fließt jedoch weiterhin über die Pipelines Turkstream und Transgas in Richtung Europa.
Gasspeicher und LNG-Importe: Deutschlands Notfallmaßnahmen in der Energiekrise
Die Lieferungen von russischem Flüssiggas (LNG) in die EU sind hingegen nicht gesunken. Insbesondere die USA konnten ihre LNG-Exporte deutlich steigern, wobei LNG dort in der Regel durch Fracking gewonnen wird. Aufgrund langer Transportwege und möglicher Methanlecks könnte LNG sogar noch klimaschädlicher sein als Kohle. Deutschland hat den Ausfall von russischem Pipelinegas hauptsächlich durch indirekte LNG-Importe über die Benelux-Staaten ausgeglichen. Seit Mitte Dezember importiert Deutschland auch erstmals geringe Mengen LNG über ein eigenes schwimmendes Terminal in Wilhelmshaven. In den kommenden Jahren sollen weitere feste Terminals folgen.
Um Engpässe bei der Gasversorgung im Winter zu verhindern, schreibt die Bundesregierung den Betreibern von Gasspeichern Mindestfüllstände vor. Bis zum 1. Oktober müssen sie zu mindestens 85 Prozent gefüllt sein und bis zum 1. November zu 95 Prozent. Dies ist aufgrund der verringerten Lieferungen von russischem Erdgas über Nord Stream 1 während der Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs notwendig geworden. Dank der Flüssiggasimporte konnte Deutschland im vergangenen Winter Engpässe bei der Gasversorgung verhindern. Dennoch könnte es mittelfristig zu Gasengpässen kommen. Bei einem überdurchschnittlich kalten Winter und einer Einstellung der russischen Exporte in weitere EU-Länder wie Österreich müsste Deutschland seinen Verbrauch erneut stark reduzieren.
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