Das 200-Milliarden-Entlastungspaket für deutsche Energiekunden, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) euphorisch als „Doppelwumms“ bezeichnet hatte, stößt bei den europäischen Partnern teilweise auf harsche Kritik. Polens Regierungschef nennt es sogar ein „Diktat Deutschlands“ auf dem europäischen Energiemarkt. Es gibt aber nicht nur Widerspruch von den EU-Partnern (Spiegel, 06.10.2022).
Kritik an der deutschen Wirtschaftsmacht
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki brachte wohl am deutlichsten seinen Unmut über die deutsche Wirtschaftsmacht zum Ausdruck. Er fand dafür heftige Worte. Es könne nicht sein, so Morawiecki, dass sich die europäische Energiepolitik dem Diktat Deutschlands beugen müsse. Das Ausspielen der eigenen ökonomischen Stärke sei man allerdings von Deutschland inzwischen gewohnt. Schon in der Finanz- und der Coronakrise habe das Land andere belehrt. Diese deutsche Arroganz wolle man aber nicht mehr hinnehmen. Schon wieder stelle Deutschland mit dem Entlastungspaket von 200 Milliarden Euro enorme Mittel bereit, die allein der eigenen Industrie und den eigenen Bürgen helfen.
Kritik am deutschen Entlastungspaket von anderen EU-Staaten
Morawiecki steht mit seiner Kritik nicht allein, etliche andere Regierungschefs schlossen sich ihr an. Darunter sind der liberale Macron ebenso wie der als nüchtern und gemäßigt geltende Noch-Regierungsschef Italiens Mario Draghi und seine Nachfolgerin Giorgia Meloni. Auch aus Portugal und Lettland waren deutliche Worte zu vernehmen. Diese Kritik kam noch vor den jüngsten Beratungen der EU-Energieminister, die inzwischen einen gemeinsamen Notfallplan gegen die Energiekrise beschlossen haben.
Scholz verteidigt deutsches Entlastungspaket
Der deutsche Bundeskanzler hat indes den eigenen Abwehrplan gegen die hohen Strom- und Gaspreise verteidigt. Er verwies gleichzeitig darauf, dass andere Länder mit ähnlichen Maßnahmen reagieren würden. Diese hätten freilich oft einen geringeren finanziellen Umfang und würden sich über mehrere Jahre erstrecken, doch dies hinge nicht nur mit der Wirtschaftskraft, sondern auch mit der Bevölkerungsgröße einzelner Länder zusammen. Im Übrigen sei es ein bewährter Konsens in der EU, dass die nationalen Regierungen durchaus mit starken eigenen Programmen die Krisen in ihren Ländern bekämpfen.
Worauf gründet sich die Kritik am deutschen Paket?
Viele EU-Länder fühlen sich benachteiligt, weil sie selbst nicht über finanzielle Mittel im selben Umfang wie Deutschland verfügen. Deshalb können sie kein ähnliches Vorgehen zu finanzieren, das ihre eigenen Bürger und Unternehmen ähnlich stark entlasten würde. Doch es geht keinesfalls um Neid. Es geht um eine handfeste und durchaus berechtigte Sorge: Die deutsche Finanzspritze für die eigenen Verbraucher könnte in der Tat den europäischen Binnenmarkt verzerren. Wenn nämlich in Deutschland die Energiepreise stärker gedeckelt werden können als in anderen Ländern, können deutsche Verbraucher einerseits mehr Energie einkaufen und damit wieder die Preise treiben. Andererseits verschafft diese staatliche Subvention der deutschen Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen EU-Staaten. So argumentierte auch folgerichtig der polnische Ministerpräsident Morawiecki.
Es könne nicht sein, sagte er, dass es der Industrie eines EU-Mitgliedsstaates wie Polen schlechter gehen als der deutschen Industrie. Der lettische Premier Krišjānis Kariņš verwies auf den entscheidenden Unterschied zwischen den deutschen Maßnahmen und denen anderer Länder. Die deutsche Größenordnung sei so gewaltig, dass sie zu Verzerrungen auf dem EU-Binnenmarkt führen könnte. Einen gemeinsamen EU-Mechanismus forderte der Premierminister Portugals, António Costa. Er stimmte Scholz zwar zu, dass jedes Land Pakete nach seinen Finanzmöglichkeiten verabschiedet habe. Doch deren Relation hänge nicht nur von der Bevölkerungsgröße, sondern auch vom spezifischen BIP ab. Dieses würde pro Kopf in einzelnen EU-Ländern sehr unterschiedlich ausfallen.
Es sei daher fundamental, zusätzlich zu den nationalen Programmen einen europäischen Mechanismus für die Bewältigung der Energiekrise zu schaffen. Die Union benötige eine gemeinsame Antwort auf die Situation. Dies habe sich schon in der Coronakrise bewährt, als die EU erstmals gemeinsame Schulden aufgenommen hatte, so Costa. Der Forderung nach europäischen Lösungen schloss sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an. Er sagte, dass man mit dem jüngsten Notfallplan Energie schon eine europäische Strategie auf den Weg gebracht habe, die es nun zu stärken gelte. Macron stellte sich vollumfänglich hinter das Konzept der EU-Kommission, mit der diese den Gaspreis EU-weit deckeln will.
Rückenwind aus Den Haag
Rückenwind bekam der deutsche Bundeskanzler von seinem niederländischen Amtskollegen Mark Rutte. Der konservative Politiker stellte sich mit einem Statement hinter die deutsche Bundesregierung. Seiner Auffassung nach sei es völlig legitim, der eigenen Finanzkraft entsprechend dem eigenen Land zu helfen. Deutschland habe die Souveränität für solche Entscheidungen, so Rutte.
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