Der staatlichen Wasserstoff-Strategie brechen die Grundpfeiler weg

Die deutsche Wasserstoffpolitik verliert an Stabilität, weil zentrale Grundpfeiler wie Nachfrage, Infrastruktur und verlässliche Projekte wegbrechen. Fehlende Abnehmer im Stahlsektor und ein stockender Ausbau der Elektrolysekapazitäten verdeutlichen das Scheitern der bisherigen Strategie. Experten fordern eine radikale Neuausrichtung, damit die Wasserstoffwirtschaft nicht an ihren eigenen Schwächen kollabiert (table.media: 24.07.25).


Grundpfeiler der Strategie wanken

Michael Sterner, Professor an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg und Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat, warnt vor einem Kontrollverlust. „Da sind schon ein paar Grundpfeiler des Kartenhauses am Wegbrechen.“ Das Ziel von zehn Gigawatt Elektrolysekapazität bis 2030 sei „nicht realistisch“. Derzeit existieren nur 0,5 Gigawatt. Selbst die geplante 300-Megawatt-Anlage von RWE ändert nichts an der massiven Lücke.

„Da sind schon ein paar Grundpfeiler des Kartenhauses am Wegbrechen.“ Die Kritik an der deutschen Wasserstoffstrategie wächst
„Da sind schon ein paar Grundpfeiler des Kartenhauses am Wegbrechen.“ Die Kritik an der deutschen Wasserstoffstrategie wächst

Lange galt grüner Wasserstoff als Schlüsselfaktor zur Dekarbonisierung. Doch Absagen von ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt sowie das Aus für das Leag-Projekt in Boxberg zeigen, dass die Basis für die Wasserstoffwirtschaft bröckelt. Ohne industrielle Großkunden kann kein stabiler Markt entstehen.

Fehlende Nachfrage lähmt die Industrie

Das System steckt im Henne-Ei-Dilemma. Unternehmen investieren kaum, weil Abnehmer fehlen, und potenzielle Nutzer warten ab, solange kein stabiles Angebot existiert. Philipp Verpoort vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung kritisiert den Ansatz der Regierung. „Es ist zu ambitioniert, alle Hochöfen in Deutschland durch neue Anlagen zu ersetzen und mit diesen Anlagen jährlich 55 Terrawattstunden Wasserstoff zu verbrauchen.“ Ein Drittel davon sei machbar, den Rest solle man über Importe abdecken.

Die Stahlindustrie sollte mit 20 Terrawattstunden Wasserstoff als Anker für die gesamte Branche fungieren. Durch den Rückzug von ArcelorMittal sinkt der Bedarf auf etwa 13,5 Terrawattstunden. Verpoort fordert eine Überprüfung des Wasserstoff-Kernnetzes und eine realistische Anpassung der Planungen.

Regierung ohne klare Linie

Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) setzt auf Flexibilität. „Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft soll beschleunigt und pragmatischer ausgestaltet werden. Dabei sollen alle Farben genutzt werden“, heißt es aus ihrem Haus. Kritiker wie Sterner sehen in diesem Flickwerk eine Aufweichung der strategischen Grundpfeiler. Er betont: „Die Technologie ist ausgereift und genauso kosteneffizient wie die anderen Pfade. Es gibt also keinen Grund, sie nicht zuzulassen.“

Auch NGOs wie CAN Europe bemängeln Schlupflöcher für LNG-Wasserstoff. Die neue EU-Verordnung, die Wasserstoff aus Netzstrom als kohlenstoffarm einstuft, wenn 70 Prozent Treibhausgase eingespart werden, sorgt zusätzlich für Verwirrung.


EU-Normen verstärken Unsicherheit

Mathias Koch von Agora Energiewende begrüßt die neuen Regeln. „Bereits im Jahr 2035 wird der europäische Strom, auch der deutsche, so sauber sein, dass aus Netzstrom produzierter Wasserstoff nach EU-Vorgaben in nahezu allen Mitgliedstaaten als kohlenstoffarm gilt.“ Koch hält „blauen“ Wasserstoff aus Gas für eine Sackgasse, während Sterner ihn für notwendig hält. Diese Widersprüche zeigen, dass eine konsistente Strategie fehlt.

Christoph Bals von Germanwatch fordert verbindliche politische Maßnahmen. Reiches Kraftwerksstrategie müsse „zum Motor für die grüne Wasserstoffwirtschaft in Deutschland“ werden. Backup-Gaskraftwerke sollten konsequent auf grünen Wasserstoff ausgerichtet sein. Ohne diese Weichenstellung droht die Wasserstoffstrategie an ihren eigenen Grundpfeilern zu zerbrechen.

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