Deindustrialisierung in Deutschland: Autoindustrie leidet unter Energiekrise

Deutschlands Autoindustrie hat durch die Coronapandemie, die Probleme mit Lieferketten, den Chipmangel und den Strukturwandel zur Elektromobilität an sich schon sehr harte Jahre überstehen müssen. Doch nun setzt die Energiekrise noch einen drauf. Sie ist schlimmer als die vergangenen Krisen und könnte tatsächlich dazu führen, dass wichtige Hersteller dieser deutschen Schlüsselbranche abwandern. Damit wäre der Automobilstandort Deutschland bedroht: Es könnte der erste Anstoß zu einer weitreichenden Deindustrialisierung sein (ntv: 30.10.22).


Folgen der Energiekrise

Die Energiekrise hat vor allem eines zu Tage gelegt: Die deutsche Wirtschaft ist extrem von Rohstoff- und Gasimporten abhängig. Wenn sie nun unter einbrechenden oder sehr viel teurer werdenden Gasimporten leidet, weckt dies auf einmal Zweifel am Wirtschaftsstandort Deutschland. Darauf verwies jüngst der BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Er sorge sich darum, so der Verbandschef, dass es extrem schwierig werden könne, das Überleben der deutschen und europäischen Industrie zu sichern.

Deindustrialisierung in Deutschland als Wohlstandsbremse. Wandert jetzt auch die Autoindustrie mit ihren Zulieferern ab?
Deindustrialisierung in Deutschland als Wohlstandsbremse. Wandert jetzt auch die Autoindustrie mit ihren Zulieferern ab?
Bild: Fa. Indumat, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons

Dieser düsteren Vision schließen sich Fachleute der Deutschen Bank an. Sie können sich vorstellen, dass man in rund zehn Jahren die gegenwärtige Energiekrise als Auslöser für die anschließende Deindustrialisierung in Deutschland kennzeichnen werde. Das ist ein schreckliches Stichwort, aber dennoch nicht von der Hand zu weisen. So plant etwa RWE große Investitionen im Ausland, so in den USA, wo die Energiepreise wegen der nationalen Förderung (auch per Fracking) längst nicht so stark gestiegen sind wie hierzulande. Nicht jedes stark energieintensive Unternehmen hat aber die Ressourcen zum schnellen Verlagern der Produktion, wie das Beispiel Hakle zeigt: Der Traditionshersteller musste Konkurs anmelden. Die auf Gas angewiesenen Glaswaren- und Kunststoffhersteller, Bäcker und Gastwirte kämpfen derzeit um ihre Existenz. Möglicherweise hat die deutsche Deindustrialisierung schon begonnen.

Welche Rolle spielt die Automobilindustrie?

Dieser Wirtschaftszweig ist unsere Paradebranche und gilt seit 100 Jahren als Motor unserer Wirtschaft. In den letzten Jahrzehnten kamen aus dem Sektor (inklusive Zulieferer) rund 20 % des deutschen BIP und gut 10 % der industriellen Wertschöpfung. Wenn die deutsche Autoindustrie schwächelt, greift das auf die gesamte einheimische Volkswirtschaft über. Einen ähnlichen Effekt hatte es schon während der Rezession des Jahres 2008 gegeben. Automobilhersteller schauen sich ebenfalls verstärkt international um. Die Platzhirsche sind natürlich komplett global aufgestellt, doch nun bauen sie ihr Auslandsgeschäft massiv aus und reduzieren die Aktivitäten im Inland. BMW wird in seinen US-Standort Spartanburg (South Carolina) massiv investieren. Etwa 1,7 Milliarden US-Dollar steckt der deutsche Autobauer in die dortige Batterieproduktion und die Herstellung neuer Elektromodelle. Bis 2030 werden sechs vollelektrische BMWs in Spartanburg gebaut werden. Die Investitionen hätte BMW auch in Deutschland tätigen können, doch hier sind die Rahmenbedingungen unter anderem wegen der Energiekrise viel zu schlecht, wie es aus der Konzernzentrale verlautete.


Deindustrialisierung in Deutschland als Wohlstandsbremse

Es droht bei einer Deindustrialisierung der deutschen Volkswirtschaft ein realer Wohlstandsverlust für die gesamte Gesellschaft. Wichtig zu wissen: Deindustrialisierung ist nicht per se schlecht. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandeln sich fortschrittliche Länder von Industrie- zu Dienstleistungsnationen. Die Verschiebung der Wertschöpfung in den Dienstleistungssektor wurde positiv wahrgenommen, denn sie galt und gilt eigentlich immer noch in einer gesunden Volkswirtschaft als Indikator für eine moderne Gesellschaft, die wachsenden Wohlstand genießt.

Die Industrie bleibt dabei auch bei geringerem Anteil an der gesamten Wertschöpfung höchst produktiv. Nur können sich die Menschen durch ihre hohen Einkommen inzwischen mehr Dienstleistungen kaufen. In den USA trägt der Industriesektor zum BIP noch rund 10 Prozent bei, in Deutschland sind es noch gut 30 %. Auf diese kommt es aber an. Wenn sie wegen äußerer Ereignisse wie den explodierenden Energiekosten oder gestörten Lieferketten schrumpfen, ist der Wohlstand ernsthaft in Gefahr. Die Relation zwischen Industrie- und Dienstleistungssektor ist nämlich auf natürliche und gesunde Weise entstanden. Ein Einbrechen oder Abwandern der Industrie ist hingegen weder natürlich noch gesund. Die Deindustrialisierung in Deutschland wäre ein verheerendes Signal, weil auch Dienstleister der Industrie zuarbeiten und weil die Industriearbeiter Dienstleistungen kaufen.


Das Problem der deutschen Zulieferer

Die Zulieferer der deutschen Autobranche leiden am meisten unter der Energiekrise. Sie arbeiten mit kleinteiligen Losgrößen, deren energetischer Aufwand in Gesamtrelation zu den Kosten deutlich höher ist als bei den eigentlichen Herstellern. Auch benötigen sie viel mehr Chemieprodukte und Kunststoffe, die sie wegen der gestiegenen Gaspreise viel teurer einkaufen müssen. Einige der Zulieferer erwägen die völlige Abwanderung, anderen droht der Konkurs.

Fazit

Deutschland muss seine Deindustrialisierung aufhalten. Immerhin scheint die Lage immer noch besser als in Frankreich zu sein: Dort geht es inzwischen schon um Reindustrialisierung, wie Präsident Emmanuel Macron jüngst anmerken musste.

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