Immer mehr Unternehmen verlieren das Vertrauen in den Industriestandort Deutschland. Hohe Stromkosten und politische Unsicherheit verschärfen die Lage. Besonders energieintensive Betriebe planen Abwanderung oder Produktionseinschränkung. Ohne Kurskorrektur droht ein struktureller Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft (merkur: 31.07.25).
Vertrauenskrise in der deutschen Energiepolitik
Die Folgen der Energiepolitik treffen die Industrie mit voller Wucht. Bereits 37 Prozent aller Unternehmen ziehen laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag (DIHK) einen Rückzug in Betracht. Im Jahr 2022 lag dieser Wert noch bei 21 Prozent. Besonders gravierend ist die Entwicklung bei stromintensiven Firmen: Dort liegt der Anteil 2024 bei alarmierenden 45 Prozent.

Mit den steigenden Kosten sinkt auch die Investitionsbereitschaft. Rund ein Drittel der Firmen verschiebt wichtige Projekte in der Produktion. Etwa 20 Prozent kürzen ihre Budgets für Forschung und Entwicklung. Vertrauen in eine planbare Zukunft fehlt – nicht nur im Mittelstand, sondern auch in Großkonzernen.
Vertrauen in Infrastruktur und Planung sinkt
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) schlägt Alarm. Ohne gezielte Investitionen in Netze, Digitalisierung und Wasserstofftechnologien droht dem Standort ein gefährlicher Strukturbruch. Die Industrie verliert das Vertrauen in den politischen Rahmen. Das Wort „Deindustrialisierung“ gilt im BDI-Umfeld nicht mehr als Polemik, sondern als Beschreibung der Realität.
Unternehmen stoßen nicht nur auf hohe Energiekosten, sondern auch auf lähmende Bürokratie. Die wirtschaftliche Unsicherheit wächst – gleichzeitig fehlt eine klare Strategie zur Entlastung. Große Investitionen bleiben aus, weil die Rahmenbedingungen fehlen.
Großunternehmen besonders betroffen
Der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks verweist auf die zunehmenden Belastungen. „Viele Betriebe fühlen sich durch Kostenexplosion und bürokratische Hürden massiv eingeschränkt.“ Laut einer Umfrage unter Industrieunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten sind inzwischen 59 Prozent von Energieeinschränkungen betroffen – ein drastischer Anstieg gegenüber den Vorjahren.
Im Jahr 2016 lag dieser Anteil noch bei 21,9 Prozent. Die Zahlen zeigen: Besonders Großbetriebe verlieren Vertrauen in die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland. Der Rückzug aus zentralen Produktionsbereichen ist längst kein Einzelfall mehr.
Energiewende bleibt ein Belastungstest
Das Energiewende-Barometer des DIHK für 2025 liegt bei minus acht Punkten. Zwar zeigt sich eine leichte Verbesserung gegenüber den Vorjahren, doch die Grundstimmung bleibt kritisch. Unternehmen aus nahezu allen Branchen bewerten die Folgen der Energiewende für ihre Wettbewerbsfähigkeit negativ.
Der Wandel zur klimaneutralen Produktion gelingt nur, wenn verlässliche Rahmenbedingungen bestehen. Doch genau dieses Vertrauen fehlt. Vielen Firmen bleibt nichts anderes übrig, als ihre Zukunftsstrategie auf andere Standorte auszurichten.
Internationale Kritik an deutscher Energiepolitik
Auch weltweit wächst die Skepsis. Zwei Drittel der befragten Experten des Weltenergierats bezweifeln, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 oder 2045 erreicht. In mehreren europäischen Nachbarstaaten stoßen Planung und Umsetzung ebenfalls auf Kritik. Das Vertrauen in die Energiepolitik sinkt – nicht nur in der deutschen Wirtschaft, sondern auch bei internationalen Partnern.
Wenn die Regierung nicht zügig reagiert, droht ein nachhaltiger Schaden für den Industriestandort. Vertrauen lässt sich nicht erzwingen, aber durch klare und planbare Entscheidungen zurückgewinnen.
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