Das grüne Paradox: Kernkraft-Experte Waas über Irrwege und Mythen der deutschen Energiepolitik

Ulrich Waas, ein erfahrener Physiker mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Kernkraft, betont die Bedeutung der Wahrheit und Transparenz in der Diskussion um Kernenergie. Als ehemaliges Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission und Berater des Bundesumweltministeriums betont er die Notwendigkeit, Fehlinformationen zu korrigieren und eine fundierte Debatte über die Rolle der Kernenergie in Deutschlands Energiemix zu führen. In einem Gespräch mit dem Nordkurier erläutert er, dass die Energiewende mit Hindernissen verbunden ist, wenn man die Kernkraft außer Acht lässt. In der Vergangenheit stand er bei Kritikern der Kernenergie sowie in der Atombranche in der Kritik (nordkurier: 11.08.23).


Kernenergie-Experte Waas warnt: Deutschlands Energiewende könnte teuren Stromimport provozieren

1975 trat Waas in die Industrie ein, zu einer Zeit, als die Kernenergie weitgehend unterstützt wurde. Doch nach den Kernunfällen in Three Miles Island und Tschernobyl und nachdenklichen Stimmen über die Wachstumsgrenzen änderte sich die allgemeine Meinung. Laut Waas hat die Industrie nicht richtig auf diese Veränderung reagiert. Er versteht, dass viele Bedenken bezüglich der Kernenergie haben. Sie ist für viele ein unbekanntes Thema und nicht ohne Herausforderungen. Er glaubt, wenn ein klimafreundliches Energiesystem ohne Kernkraft möglich wäre, bräuchte man die Kernenergie weniger. Aber es ist nicht fair, nur über die Kernenergieprobleme zu sprechen und die des neuen Energiesystems zu ignorieren. Dieser offene Standpunkt hat ihm Kritik sowohl von Unterstützern als auch von Gegnern eingebracht.

Wasserstoff, Kohle und Kernenergie: Waas beleuchtet das ‚grüne Paradox‘ der deutschen Energiepolitik und zeigt Irrwege und Mythen auf
Wasserstoff, Kohle und Kernenergie: Waas beleuchtet das ‚grüne Paradox‘ der deutschen Energiepolitik und zeigt Irrwege und Mythen auf
Bild: Axel Hindemith, Public domain, via Wikimedia Commons

Auf die Frage, warum Deutschland nicht einfach benötigten Strom importiert, wenn er nicht durch erneuerbare Energien produziert werden kann, antwortet er: Ja, das ist machbar. Aber es ist weder kosteneffizient noch teamorientiert. Wir wären von anderen Ländern abhängig, die sich wundern, warum Deutschland nicht mehr zur Sicherheit der Energieversorgung in Europa beiträgt. Diese Methode hat Schwächen, wie man im letzten Winter sah, als Frankreich Probleme mit vielen seiner Kernkraftwerke hatte.

Laut Waas gibt es in der europäischen Kernenergiebranche unterschiedliche Meinungen zur aktuellen Atompolitik Deutschlands. Viele Experten aus dieser Branche seien überrascht über den eingeschlagenen Weg Deutschlands und sehen darin eine Möglichkeit, wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Nach der Einschätzung des Physikers könnte Deutschland mit der aktuellen Energiestrategie zukünftige Herausforderungen haben. Dies könnte für andere Länder, insbesondere Tschechien und die Slowakei, eine Gelegenheit sein, ihre Stromkapazitäten massiv auszubauen und den Strom dann teuer an Deutschland verkaufen. Ein solches Szenario könnte wiederum die Stromkosten in Deutschland stark beeinflussen.


Strompreisschock und Energiespeicher: Waas deckt die Fallstricke der deutschen Energiestrategie auf

Ein Blick auf den letzten Winter zeigt, laut Waas, das Ausmaß der potenziellen Kostensteigerungen. Während dieser Zeit erlebte Frankreich Schwierigkeiten mit seinen Kraftwerken, was dazu führte, dass der Preis für eine Megawattstunde Strom weit über 100 Euro stieg. Zum Vergleich: In den Jahren zuvor pendelten die Preise häufig zwischen 20 und 30 Euro. Eine dauerhafte Preissteigerung in diesem Umfang würde eine signifikante Mehrbelastung für Verbraucher bedeuten.

Der geplante Ausbau von Speicherkapazitäten in Deutschland ist eine der Lösungen, die Waas vorschlägt, um die schwankende Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien auszugleichen. Aktuell hat Deutschland eine Speicherkapazität von 40 Gigawattstunden, wovon 39 Gigawattstunden auf Pumpspeicherwerke zurückzuführen sind. Diese Kapazität könnte das deutsche Stromnetz nur kurzzeitig versorgen. Ein weiterer Ausbau der Speicherkapazitäten ist daher erforderlich. Hierbei stehen jedoch mehrere Herausforderungen im Weg. Pumpspeicherwerke benötigen eine geeignete geographische Umgebung, die in Deutschland nicht überall gegeben ist. Zudem könnten derartige Bauvorhaben ökologische Auswirkungen haben, beispielsweise durch Veränderungen an Flussläufen. Alternativ könnten Batterien als Speicherlösung dienen, allerdings sind sie nach aktuellem Stand der Technik zu kostenintensiv.

Wasserstoff, Kohle und Kernenergie: Waas beleuchtet das ‚grüne Paradox‘ der deutschen Energiepolitik

Die Bundesregierung scheint auf Wasserstoff als Energiequelle zu setzen, doch diese Lösung hat laut Meinung von Waas ihre eigenen Herausforderungen. Obwohl Wasserstoff als Energiespeicher dient, ist der Prozess des Speicherns und der anschließenden Stromerzeugung seiner Meinung nach mit einem Gesamtwirkungsgrad von etwa 25 bis 30 Prozent extrem ineffizient. Dies erfordert bedeutend mehr Kapazität von erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne. Diese Methode sei zwar in der Zukunft technisch umsetzbar, aber die Kosten würden gegenüber erheblich steigen.

Um diese Kosten zu reduzieren, erwägt die Bundesregierung den Import von Wasserstoff aus Ländern wie Chile und Namibia. Waas weist jedoch darauf hin, dass die damit verbundenen Transport- und Verfügbarkeitskosten diesen Kostenvorteil mindestens wieder neutralisieren würden. Für Waas lautet die Kernfrage deshalb: Warum Deutschland plant, seine bestehenden Energiesysteme bis 2030 zu deaktivieren, ohne ein zuverlässiges alternatives System einzuführen. Das Ersetzen bestehender Systeme ohne einen geeigneten Ersatz betrachtet er für ein Industrieland wie Deutschland als äußerst riskant.

In der Zwischenzeit setzt Deutschland auf Kohlekraftwerke, die zwar eine stabile Grundlast liefern, aber erheblich zum Klimawandel beitragen. Dieses „grüne Paradox“ deutet darauf hin, dass Kernenergie als klimafreundliche und wirtschaftlich stabile Lösung in Erwägung gezogen werden sollte. Auch wenn Kernkraftwerke ihre eigenen Risiken haben, könnte die Nutzung von Kernenergie in den kommenden Jahren für den Klimaschutz unerlässlich sein, so Waas. Der Betrieb alter Kohlekraftwerke würde zu erheblichen zusätzlichen CO₂-Emissionen führen, was nicht mit den angestrebten Klimazielen vereinbar ist. Einmal gebaute Kernkraftwerke haben geringe CO₂-Emissionen, hauptsächlich durch Materialproduktion, und könnten genauso klimaneutral sein wie erneuerbare Energien. Trotz der offensichtlichen Vorteile von Kernkraft gibt es erheblichen Widerstand gegen ihre Nutzung, insbesondere von grünen Parteien. Aber diese Entscheidung hat Deutschland in eine risikoreiche Energiepolitik geführt, die international auf Unverständnis stößt.


Kernkraft in Deutschland: Waas kontert Mythen

In der Diskussion über die Sicherheit von Kernkraftwerken in Deutschland gibt es sowohl technische als auch personelle Überlegungen. Die technische Sicherheit der Kraftwerke wird als beherrschbar eingestuft, sodass sie laut Waas wieder auf den neuesten Stand gebracht werden könnten. Es gibt jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich des Personals. Trotz anfänglicher Bereitschaft einiger Mitarbeiter, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im März 2022 weiterhin in der Kernenergie zu arbeiten, haben viele mittlerweile das Vertrauen verloren, nicht zuletzt wegen falscher Behauptungen und politischen Spannungen.

Einige der behaupteten Argumente gegen Kernkraft, wie das Fehlen eines Endlagers, die fehlende Lastwechselfähigkeit von Kernkraftwerken und die lange Dauer von Sicherheitsüberprüfungen, wurden laut Waas längst widerlegt. Das geplante Endlager in Finnland, die nachweisliche Lastwechselfähigkeit bestimmter Kernkraftwerke in Baden-Württemberg und die kurze tatsächliche Dauer für Sicherheitsüberprüfungen sind einige der Gegenargumente. Leider haben vorgeschobene Argumente und Fehlinformationen das Narrativ in der Öffentlichkeit beeinflusst.

Derzeit könnten laut Waas von den verbliebenen deutschen Kernkraftwerken wahrscheinlich drei, möglicherweise fünf, wieder in Betrieb genommen werden. Allerdings wird der Zeitpunkt kommen, an dem eine Wiederinbetriebnahme nicht mehr sinnvoll ist.

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