Deutschland steht vor einer ernsten Herausforderung im Gesundheitswesen. Immer mehr Arzneimittel fehlen, über 500 Präparate gelten als schwer lieferbar – darunter wichtige Mittel gegen Asthma, ADHS und bakterielle Infektionen bei Kindern. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln zeigt, dass ein Exportstopp aus China bis zu 42 Millionen Packungen betreffen könnte. Diese Entwicklung gefährdet Patienten, das Gesundheitssystem, die Pharmaindustrie, die Versorgungssicherheit und die globalen Lieferketten gleichermaßen (berliner-zeitung: 20.20.25).
Arzneimittel als geopolitische Schwachstelle
Einst galt Deutschland als „Apotheke der Welt“. Heute produziert China die entscheidenden Grundwirkstoffe für zahlreiche Arzneimittel. In 20 von 56 untersuchten Kategorien kontrollieren chinesische Hersteller mehr als ein Drittel der weltweiten Kapazitäten. Bei einigen Substanzen liegt der Anteil sogar über 80 Prozent. Diese Dominanz gefährdet die europäische Versorgungssicherheit erheblich. IW-Expertin Jasmina Kirchhoff warnt, dass im Falle eines Konflikts mit China lebenswichtige Arzneimittel knapp werden könnten.

Auch Bork Bretthauer vom Verband Pro Generika zieht Parallelen zur Energiekrise und erinnert daran, wie ähnlich die Abhängigkeit damals entstand. Der über Jahre gewachsene Preisdruck im Gesundheitssystem trieb die Produktion nach Asien. Die Pharmaindustrie hat sich damit selbst in eine gefährliche Abhängigkeit begeben.
Preisdruck und Verlagerung schwächen die Lieferketten
Rabattverträge zwangen viele Hersteller zum Umdenken. Produktion im Inland lohnte sich kaum noch, also verlagerte man sie nach Indien und China. Dort locken niedrigere Kosten, staatliche Förderung und weniger strenge Umweltauflagen. Seit 2010 hat sich der Importwert pharmazeutischer Vorprodukte aus China fast versiebenfacht und liegt heute bei über 350 Millionen Euro.
Die einst starke deutsche Pharmaindustrie hat ihre Lieferketten in Länder ausgelagert, die zunehmend als geopolitische Rivalen gelten. Der kurzfristige Preisvorteil führte zu einem langfristigen Kontrollverlust. Die Abhängigkeit betrifft längst nicht mehr nur die Produktion, sondern auch die Forschung rund um neue Arzneimittel.
Verlust an Innovation und Forschungskraft
China baut seine Dominanz weiter aus – nicht nur in der Herstellung, sondern auch in der Forschung. Im Jahr 2000 kam nur eines von tausend Pharmapatenten aus China. Heute ist es jedes achte. Deutschland dagegen hat seinen Anteil fast halbiert. Der Rückgang der Forschungsleistung zeigt, wie tief die strukturelle Abhängigkeit reicht.
Auch die Versorgungssicherheit leidet darunter. Während chinesische Unternehmen Innovation und Produktion ausweiten, verliert Deutschland Know-how und Eigenständigkeit. Die einst führende Nation bei Arzneimitteln verliert ihre technologische Basis – ein Verlust, der sich nur schwer umkehren lässt.
Politik reagiert zu spät
Trotz wiederholter Warnungen aus der Branche bleibt die politische Reaktion schwach. Die EU arbeitet zwar am „Critical Medicines Act“, doch konkrete Förderprogramme oder verbindliche Produktionsziele fehlen. Während Brüssel verhandelt, füllen sich in deutschen Apotheken die Mangellisten.
Apothekerpräsident Thomas Preis betont, dass Apotheken Teil der Daseinsvorsorge seien. „Das brauchen die Menschen wie Gas, Wasser und Strom.“ Es fehlt nicht an Hightech-Produkten, sondern an einfachen Grundstoffen. Ohne stabile Lieferketten und eine starke Pharmaindustrie bleibt die Versorgungssicherheit gefährdet – ein Risiko, das nicht länger ignoriert werden darf.
Strategische Neuausrichtung notwendig
Die Krise zeigt ein strukturelles Versagen. Jahrzehntelang lag der Fokus auf Einsparungen, nicht auf Stabilität. Nun zahlt Deutschland den Preis dieser Politik. Für eine sichere Zukunft braucht das Land Investitionen in eigene Produktionskapazitäten, faire Preise für Generika und eine klare industriepolitische Strategie.
Nur durch eigene Stärke in der Herstellung von Arzneimitteln und durch widerstandsfähige Lieferketten lässt sich die Versorgungssicherheit langfristig sichern. Ohne entschlossenes Handeln verliert Deutschland seine Souveränität – in der Forschung, in der Produktion und beim Vertrauen der Patienten.
Lesen Sie auch:
