In Deutschland steht die Einführung neuer Strompreiszonen im Raum. Der Norden produziert großen Anteil an grünem Strom, während der Süden mehr verbraucht. Diese Spaltung im Strommarkt könnte weitreichende Folgen haben. Besonders für den Industriestandort Deutschland geht es um Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig ist die Energiewende ohne klaren Kurs beim Netzausbau kaum zu bewältigen.
Strompreiszonen als neue Konfliktlinie
Ein wachsender Teil der Fachwelt fordert regionale Strompreise, angepasst an Angebot und Nachfrage. Im Norden mit viel Windkraft lägen die Preise niedriger, während im Süden mit seiner starken Industrie höhere Stromkosten unvermeidbar wären. Damit stünde die Auflösung der einheitlichen Strompreiszonen bevor. Doch während Experten regionale Preissignale fordern, hält der BDEW am bisherigen Modell fest.

Industrievertreter sehen die Entwicklung kritisch. Sie warnen, dass hohe Strompreise die ohnehin schwache Konjunktur massiv gefährden. Besonders die Stahlbranche leidet. Laut Wirtschaftsvereinigung Stahl sank die Produktion im ersten Halbjahr um knapp 12 Prozent. Damit rückt die Belastungsgrenze für den Industriestandort Deutschland näher.
Energiewende und Wirtschaft unter Druck
„Der Produktionseinbruch in unserer Branche zeigt, wie dramatisch es um den Industriestandort Deutschland steht“, erklärte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Sie betont, dass für energieintensive Branchen wie Stahl international wettbewerbsfähige Strompreise unverzichtbar sind.
Auch die EU-Kommission befürwortet eine Abkehr von den bisherigen Strompreiszonen. Mehrere norddeutsche Regierungschefs unterstützen diesen Kurs. Doch im Süden lehnt man steigende Preise strikt ab. Besonders Bayern verweist auf drohende Nachteile für die regionale Wirtschaft. Das Wirtschaftsministerium betont zugleich, dass die Bundesregierung am Modell der einheitlichen Strompreiszone festhalten möchte.
Netzausbau als entscheidender Faktor
Der BDEW führt eine Untersuchung der EU-Regulierungsbehörde Acer an, die eine Aufteilung der Strompreiszonen als ökonomisch wenig überzeugend bewertet. Zugleich warnt der Verband vor jahrelanger Unsicherheit für Investoren, die den Netzausbau gefährden könnte. Ohne klare Rahmenbedingungen sei die Energiewende kaum realisierbar.
Energieexperten sehen die Lage anders. Lion Hirth von der Hertie School in Berlin erklärt: „Nur lokale Preise auf dem Strommarkt können die Dynamik des Stromnetzes sinnvoll in Flexibilitätsanreize übersetzen.“ Solange nicht genug Strom in den Süden transportiert werden kann, müsse man Unterschiede über Strompreise abbilden. Der Netzausbau hinkt der Erzeugung erneuerbarer Energien bislang deutlich hinterher.
Experten fordern neue Ansätze
Auch Andreas Löschel von der Ruhr-Universität Bochum betont, dass Angebot und Nachfrage im Strommarkt zunehmend auseinanderfallen. Nur regionale Preisunterschiede könnten diese Diskrepanz lösen. Für ihn gehören Strompreiszonen zur logischen Weiterentwicklung der Energiewende.
Bernd Weber vom Think Tank Epico ergänzt, dass die Erzeugung erneuerbarer Energien schneller wachse als der Netzausbau. „Kleinere Preiszonen sind ökonomisch effizienter, weil sie Unterschiede bei Erzeugungskapazitäten und Netzinfrastruktur besser abbilden.“ Positive Beispiele sieht er in Skandinavien.
Zukunft der Strommärkte bleibt offen
Weber sieht marktwirtschaftliche Vorteile in der Aufgabe der einheitlichen Strompreiszonen. Investitionen könnten effizienter gelenkt und regionale Stärken genutzt werden. Nachteile für Unternehmen in Hochpreisregionen müssten politisch ausgeglichen werden. Für den Industriestandort Deutschland könnte dies langfristig Stabilität schaffen.
Gleichzeitig warnt Weber vor einer zu stark politisierten Debatte. Ohne mutige Entscheidungen blieben strukturelle Probleme ungelöst. Auch Lion Hirth mahnt: Damit die Energiewende gelingt, müsse ein Strommarktdesign die physikalischen und ökonomischen Realitäten berücksichtigen.
Der BDEW hält dagegen. Sprecherin Katja Sandscheper betont, dass der Netzausbau und der Ausbau erneuerbarer Energien im Gleichklang laufen müssten. An einer einheitlichen Preiszone halte der Verband fest. Die Zukunft des Strommarkts bleibt damit hoch umkämpft.
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