Noch vor wenigen Tagen hatte Bundeswirtschaftminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) gesagt, dass Deutschland durchaus den kommende Winter bewältigen könne. Die Voraussetzungen seien lediglich genügend Einsparungen beim Gas und nicht zu kaltes Wetter. Doch gerade Letzteres lässt sich nicht einplanen. Was also, wenn es sehr kalt wird? Mit diesem Szenario haben sich vier große Wirtschaftsforschungsinstitute beschäftigt. Ihr dramatisches Ergebnis: Bei einem kalten Winter droht Deutschland die tiefste Wirtschaftskrise der letzten 75 Jahre (Business Insider, 04.10.2022).
Verschiedene Szenarien für den kommenden Winter
Die Ökonomen haben verschiedene Szenarien berechnet, darunter ein Basisszenario mit moderater Kälte und Einsparungen beim Gas. In diesem Fall erwarten sie nur eine milde Rezession von -0,4 % des BIP im Jahr 2023. Schon 2024 könne dann die deutsche Wirtschaft wieder wachsen. Im Gesamtgutachten über 83 Seiten findet sich aber auch eine Prognose für den Worst Case. Das Risikoszenario für einen wirklich kalten Winter und gleichzeitig zu wenigen Einsparungen sagt einen dramatischen Wirtschaftseinbruch voraus. Dieser würde zur tiefsten und längsten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit führen. Der Einbruch der Wirtschaftsleistung läge 2023 bei -7,9 % und im Winterquartal sogar bei -14 % des BIP, im Folgejahr 2024 dann bei -4,2 % und im ersten Quartal 2024 bei -15 %. Dies wäre eine neue Dimension: So eine Depression hat die Bundesrepublik in ihrer Geschichte noch nicht erlebt. Sie würde nicht nur die Einkommen und damit den Wohlstand schmälern, sondern auch zu sozialer und politischer Instabilität führen.
Mangelnde Gasverfügbarkeit als größtes Risiko für eine Wirtschaftskrise
Die Forscher machen als größtes Risiko die mangelnde Gasverfügbarkeit aus. Bei zu wenig Einsparungen im kommenden Winter käme es unweigerlich zu Rationierungen, was in bestimmten Branchen zu Produktionsminderungen und -stopps führen würde. Dieses Szenario könne sich im Winter 2023/2024 wiederholen. Die Wahrscheinlichkeit der genannten Risiken lasse sich allerdings nur schwer schätzen, weil die große Unbekannte das Wetter ist. Doch es sei ausrechenbar, dass nur eine Gaseinsparung von 20 % Rationierungen verhindern könne, wenn gleichzeitig der Winter nicht zu streng ausfalle.
Genaueste Modellrechnungen
Wirtschaftsprognosen sind ein lange erprobtes Mittel von Wirtschaftsforschungsinstituten. Dieses Mal wurden allerdings wegen der brisanten Situation die Modelle für die möglichen Szenarien deutlich verfeinert. Dies betraf sowohl die Annahmen zum Gasangebot als auch diejenigen zu möglichen Einsparpotenzialen bei Unternehmen und Haushalten sowie zu den Folgen von Gasrationierungen für die Wirtschaft. Eine besondere Rolle spielten die möglichen Einflüsse des Wetters. Hierfür legten die Institute Erfahrungswerte zum Gasverbrauch in Abhängigkeit zur Außentemperatur aus der Vergangenheit zugrunde. Damit berechneten sie mit vielen Parametern mehrere Szenarien. Die Studie stellt dementsprechend fest, dass das Wetter eine überragende Rolle spielen werde. Immerhin könne der Winter auch durchschnittlich wärmer als in den vergangenen Jahren werden. Dann drohe kein Gasmangel. Beim mittleren Szenario – einem Winter mit Temperaturen wie in den letzten fünf Jahren – bestehe schon ein erhöhtes Risiko für Gasrationierungen ab Januar bis März 2024. Dies werden voraussichtlich erforderlich sein, weil die Gasspeicher schon im Winter 2022/23 leer laufen und im Sommer 2023 nicht wieder ausreichend gefüllt werden. Allerdings könnten ersten Mangelsituationen durch mehrere Maßnahmen vermieden werden. Diese benennen die Experten wie folgt:
- Weiterbetrieb der noch verbliebenen Atomkraftwerke
- volle Auslastung der LNG-Terminals
- Gaseinsparungen von 10 %
- Reduktion der Gasexporte (beispielsweise nach Tschechien) um 20 %
- Gasimporte über Pipelines im selben Umfang wie im Sommer (August) 2022
Sollten die beiden Winter 2022/23 und 2023/24 aber sehr kalt werden, müssten die Gaseinsparungen 20 % erreichen und die Gasimporte über sowohl über Pipelines als auch über LNG-Terminals deutlich erhöht werden.
Wirtschaftskrise durch Gasmangel
Wenn der Gasmangel einen Umfang erreichen sollte, der zum Lieferstopp für bestimmte Betriebe führt, zögen die dadurch verursachten Produktionseinschränkungen bzw. -stillstände gravierende Folgen nach sich. Dies ist die düstere Prognose der Ökonomen. Die Einbrüche der gesamtwirtschaftlichen Aktivität dürften bei -14 % im ersten Quartal 2023 und bei -16 % zum Jahresanfang 2024 liegen. Zwar dürfte sich die Wirtschaft in den nachfolgenden Sommermonaten erholen, jedoch keinesfalls in einem Umfang, der die Einbrüche im Winter kompensiert.
Ausweg: Einsparungen beim Gasverbrauch
Die Forscher zeigen auch einen Ausweg auf. Wenn der Gasverbrauch um mindestens 20 % sinken würde und sich außerdem die Importe von LNG und Pipelinegas noch steigern ließen, würde die deutsche Wirtschaft nahezu jedem Wetter trotzen. Dies müsse das erklärte Ziel sein, so das Fazit der Wissenschaftler.
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