Nach Medienberichten prüft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) gegenwärtig einen Einstieg des Bundes beim Unternehmen Tennet, einem wichtigen niederländischen Betreiber von Stromnetzen. Habeck erhofft sich davon mehr Einfluss auf den Ausbau der deutschen Netze (ntv, 30.11.2022).
Ausbau der Bundesbeteiligungen an der kritischen Infrastruktur
Mit dem Beginn der Energiekrise hat sich der Bund entschlossen, schwächelnde Unternehmen der Energiebranche zu kaufen bzw. sich an ihnen die absolute Mehrheit zu sichern. Im September investierte er 30 Milliarden Euro in den kriselnden Uniper-Konzern, der Gas importiert, damit systemrelevant ist und nun praktisch dem deutschen Staat gehört. Der niederländische Stromnetzbetreiber Tennet B.V. betreibt in Deutschland die Tochter Tennet TSO, die ebenfalls in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Daher könnte ein weiterer Staatseinstieg in einen systemrelevanten Versorger bevorstehen. Dafür sprach sich jedenfalls Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aus. Offenkundig will er in die niederländische Muttergesellschaft investieren.
Diesen Weg bezeichnete er als politisch attraktiv, er wolle ihn deshalb prüfen. Zu den aktuell laufenden Gesprächen wollte sich der Grünen-Politiker aber vorläufig nicht äußern. Regierungsvertreter hatten vorher angedeutet, dass der Bund möglicherweise erwäge, die Mehrheit an der deutschen Tochter Tennet TSO zu übernehmen.
Tennet B.V. und Tennet TSO
Die Tennet Holding B.V. wurde 1998 gegründet und hat ihren Sitz in Arnhem. Sie gehört heute dem niederländischen Finanzministerium. Ihre Tochter Tennet TSO betreibt hierzulande ein Höchstspannungsnetz. Dessen Gesamtlänge von ~13.559 km umfasst 10.708 km Freileitung und 2.851 km Erdkabel. Dazu gehören 136 Umspannwerke. Die Muttergesellschaft Tennet ist in den Niederlanden per Gesetz mit der unabhängigen und eigenverantwortlichen Verwaltung des niederländischen Höchstspannungsnetzes beauftragt. Dem niederländischen Staat geht es dabei um eine zuverlässige und wirksame Energieversorgung im gesamten Land. Tennet kaufte in den vergangenen Jahrzehnten kleinere Versorger in den Niederlanden auf.
In Deutschland erwarb das Unternehmen im Jahr 2010 vom deutschen Konzern E.ON dessen deutsches Höchstspannungsnetz. Die Transaktion war wegen EU-Verpflichtungen nötig geworden: Die EU-Kommission hatte von E.ON gefordert, einen Investor für das Netz zu finden, weil E.ON bis zu diesem Zeitpunkt über eine marktbeherrschende Stellung verfügte. Hierfür hatte die damalige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes ein Kartellverfahren gegen E.ON eingeleitet. Es entstand durch die Transaktion Tennet TSO mit Sitz in Bayreuth. Nach den bisherigen Meldungen von Insidern aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist noch nicht ganz klar, ob Habeck eine Beteiligung an Tennet TSO oder Tennet B.V. anstrebt. Tennet TSO hat als Dienstleistungsunternehmen einen gesetzlichen Auftrag laut § 11 ff. EnWG (Energiewirtschaftsgesetz). Es muss diskriminierungsfrei den Betrieb eines zuverlässigen, leistungsfähigen und sicheren Energieversorgungsnetzes sicherstellen. Auch dessen Ausbau und Optimierung sind per Gesetz vorgeschrieben.
Reguliert wird Tennet TSO durch die Bundesnetzagentur, die das Unternehmen zertifiziert hat. Es gab allerdings anfangs Komplikationen, weil Tennet TSO nicht gleich die erforderlichen finanziellen Mittel nachweisen konnte. Der Netzbetreiber ist vor allem für die Stromversorgung in Bayern, Hessen, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Teilen von Nordrhein-Westfalen sehr wichtig. Die Netze sind in das europäische Verbundsystem integriert und nehmen wegen der geografischen Lage mitten in Europa eine bedeutende Transferstellung ein. Es existieren etliche Übergabestellen zu benachbarten deutschen Übertragungsnetzbetreibern und zu Unternehmen in den Niederlanden (Tennet B.V.), Dänemark (Energinet.dk), Tschechien (ČEPS) und Österreich (APG).
Möglicherweise vollständige Übernahme von Tennet TSO?
Habeck deutete an, dass bei der Beteiligung des Bundes an Tennet die deutsche Staatsbank KfW über 50 % halten solle und dass man auch an eine Komplettübernahme durch den Bund denke. Hierzu liefen noch Gespräche, man hoffe auf eine Einigung ab dem zweiten Quartal 2023. Auch erwähnte Habeck, dass man schon seit Jahren mit den Niederlanden über eine deutsche Tennet-Beteiligung verhandle, wobei die Wahlen sowohl in den Niederlanden als auch in Deutschland die Gespräche unterbrochen hätten. Es besteht daher die Möglichkeit, dass der deutsche Staat direkt in Tennet B.V. einsteigen will, doch auch eine Übernahme von Tennet TSO ist ein gut denkbares Szenario.
Juristisch wäre das sogar ein sehr ähnlicher Fall, weil Tennet TSO nach wie vor eine Tochter von Tennet B.V. ist. Deutschland hat deshalb so ein großes Interesse an Tennet, weil der Netzbetreiber für die Nord-Süd-Trassen sehr wichtig ist, die den Windstrom aus den Windparks in der Nordsee nach Süden transportieren sollen. Die Niederlande schätzen hierfür bis zum Jahr 2035 einen Investitionsbedarf von rund 50 Milliarden Euro. Davon soll Tennet TSO 70 %, Tennet B.V. 30 % tragen. Die Bundesbeteiligung an Tennet würde den Einfluss des deutschen Staates auf den Netzausbau deutlich erhöhen, was Robert Habeck in der Tat zum Ziel erklärte.
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