Eine aktuelle Studie zeigt, dass Kernkraft in Deutschland die Energiewende deutlich kostengünstiger gestalten könnte. Laut der Untersuchung könnte fast die Hälfte des Stroms bis 2045 aus Atomkraft stammen. Die Studie der Umweltorganisation Weplanet, die der NZZ exklusiv vorliegt, wirft einen kritischen Blick auf die bisherige Strategie Deutschlands (nzz: 10.01.25).
Klimaneutralität erfordert neue Lösungen
Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das Ziel erfordert eine drastische Reduktion von Treibhausgasen. Gleichzeitig müssen elektrische Speicher ausgebaut, Stromnetze modernisiert und erneuerbare Energien verstärkt genutzt werden. Weplanet stellt jedoch fest, dass der Verzicht auf Kernkraft unnötig hohe Kosten und Risiken mit sich bringt. Die Versorgungssicherheit leidet ebenfalls.
Zwei Szenarien im Vergleich
Die Studie analysiert zwei Wege: Einen Mix aus Kernkraft, Wind- und Solarenergie sowie eine reine Versorgung durch erneuerbare Energien.
Das erste Szenario plant, dass Kernkraftwerke im Jahr 2045 rund 43 Prozent des Stroms erzeugen. Dazu müssten stillgelegte Anlagen reaktiviert und neue gebaut werden. Die verbleibenden Anteile würden durch Windkraft (34 Prozent) und Solaranlagen (11 Prozent) gedeckt. Dieses Modell zeichnet sich durch niedrigere Stromkosten aus. Eine Megawattstunde Strom könnte etwa 82 Euro kosten – deutlich weniger als die 105 Euro im zweiten Szenario. Außerdem würden Netzausbaukosten deutlich geringer ausfallen.
Das zweite Szenario setzt ausschließlich auf Wind und Sonne. Hier wäre der Erdgasverbrauch mehr als dreimal so hoch wie im ersten Modell. Zudem wären deutlich mehr Rohstoffe wie Lithium und seltene Erden erforderlich. Die Abhängigkeit von Stromimporten würde ebenfalls steigen.
Kernkraft bietet Stabilität und Kostenvorteile
Die wetterunabhängige Stromerzeugung der Kernkraftwerke sorgt für mehr Zuverlässigkeit. Gleichzeitig wäre der CO2-Ausstoß um etwa zwei Drittel geringer als bei einer rein erneuerbaren Energieversorgung. Deutschland könnte seine Klimaziele so kostengünstiger und effizienter erreichen.
Die Autoren der Studie betonen jedoch, dass der Ausbau der Kernkraft eine große Herausforderung bleibt. Um bis 2045 eine Kapazität von 57 Gigawatt zu erreichen, müssten umfangreiche Investitionen erfolgen. Selbst eine Teilumsetzung könnte jedoch deutliche Vorteile bieten.
Kritische Stimmen zur wirtschaftlichen Bewertung
Ökonomin Veronika Grimm weist darauf hin, dass die Kostenabschätzungen zur Kernkraft stark variieren. Institutionen wie die Internationale Energieagentur schätzen die Kosten niedrig ein, während atomkritische Studien oft das Doppelte ansetzen. Grimm betont, dass die Bewertung der Kernkraft eine politische und gesellschaftliche Frage ist, die über technische Aspekte hinausgeht.
Geopolitische Faktoren könnten die Diskussion zusätzlich beeinflussen. Sollte Deutschland unabhängiger von Schutzschirmen anderer Staaten werden wollen, müsste in Technologie und Infrastruktur investiert werden. Eine differenzierte Bewertung sei daher dringend erforderlich.
Ein neuer Kurs könnte sich lohnen
Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit, die Energiewendestrategie zu überdenken. Ein Mix aus Kernkraft und erneuerbaren Energien bietet Potenzial, um Klimaziele kosteneffizienter und sicherer zu erreichen. Zeitnahes Handeln ist entscheidend, um langfristige Vorteile zu sichern.
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