Der Stromhandel in Europa ermöglicht Geschäfte, bei denen ein und derselbe Ökostrom mehrfach angerechnet werden kann. So verkauft Island Ökostrom nach Europa, obwohl gar kein Stromkabel dorthin liegt (Golem: 29.11.22).
Stromanbieter und Unternehmen kaufen Herkunftsnachweise aus Island
Viele Stromanbieter in Deutschland werben mit 100 Prozent Ökostrom, wenn man einen entsprechenden Tarif abschließt. Auch immer mehr Unternehmen behaupten, vollständig klimaneutral zu wirtschaften, da sie ihre Produkte ausschließlich mit Ökostrom produzieren. Hinter solchen Aussagen steckt ein eigenartiges System beim Handel mit Ökostrom, denn weder der Verkäufer, noch der Nutzer muss tatsächlich über diesen Ökostrom verfügen, denn es reicht der Erwerb eines entsprechenden Herkunftsnachweises.
Damit kann ein Stromanbieter in Deutschland den üblichen Strommix als Ökostrom verkaufen, wenn er in einem anderen Land Herkunftsnachweise für Strom, beispielsweise aus Wasserkraft, kauft. Dieser Handel mit Herkunftsnachweisen erlaubt es ihm dann, gegenüber seinen Kunden zu behaupten, dass er ausschließlich Ökostrom verkaufe.
Island verdient jährlich 7 Millionen Euro durch den Verkauf von Herkunftsnachweisen für Ökostrom
Island ist Teil der European Economic Area (EEA), obwohl es kein EU-Mitglied ist. Durch die EEA-Mitgliedschaft hat Island das Recht, Strom-Herkunftsnachweise an europäische Unternehmen zu verkaufen und das, obwohl es gar keine Stromverbindung zum europäischen Festland gibt. Für den staatlichen Stromerzeuger Landsvirkjun ist dies ein gutes Geschäft, denn er verdient durch den Verkauf von Herkunftsnachweisen etwa 7 Millionen Euro jährlich.
Islands Strom kommt zu 99 Prozent aus Wasserkraft und Geothermiekraftwerken. Strom ist in Island billig.
Ökostrom wird zum großen Teil doppelt abgerechnet
Das Land erzeugt jährlich etwa 19 Terawattstunden Strom. Davon werden für 14 Terawattstunden Herkunftszertifikate exportiert. Da der Strom in Island außergewöhnlich billig ist, haben sich dort die großen Aluminiumhersteller Rio Tinto, Nordural und Alcoa angesiedelt, die allesamt damit werben, dass ihre Produktion mit 100 Prozent erneuerbaren Energien erfolgt. Im Prinzip stimmt das auch, denn sie beziehen ihren Strom physikalisch aus Wasserkraft und Geothermie. Allerdings erhalten sie dafür keine Herkunftsnachweise, denn diese werden weitgehend nach Europa verkauft. Der Ökostrom wird also doppelt abgerechnet.
Doppelte Abrechnung verstößt nicht gegen europäische Richtlinien
Erstaunlicherweise ist diese doppelte Abrechnung auch den zuständigen Behörden bekannt. Die Ausstellung der Herkunftsnachweise erfolgt über die jeweils zuständigen Behörden, die auf europäischer Ebene in der Association of Issuing Bodies (AIB) zusammengeschlossen sind. Bei der AIB ist das Problem mit der Doppelzählungen in Island bekannt, doch man hält sie dort für legal. Bei der Erstellung der gesetzlichen Richtlinien wurde versäumt, entsprechende Klarheit zu schaffen.
Island verkauft Ökostrom doppelt, obwohl er nur einmal erzeugt wurde
Die AIB betrachtet bei der Stromherkunft nur die handelbaren Herkunftszertifikate, während die physikalische Realität der Stromverteilung nicht berücksichtigt wird. Durch diese Betrachtungsweise kommt es zu einer virtuellen Verdopplung von Ökostrom, der nur einmal produziert wurde.
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