Immer mehr Unternehmen streichen ihre grünen Ambitionen. Ölkonzerne wie Shell und BP haben den Anfang gemacht. Auch Konsumgüterhersteller, Autobauer und Stahlproduzenten ziehen nach. Recherchen des Handelsblatts belegen diesen Trend bei Mercedes, Thyssen-Krupp sowie den Kreuzfahrt-Reedereien Aida und Tui Cruises in Deutschland.
Drastische Kürzungen gibt es auch bei Unilever. Der Konzern wollte ab nächstem Jahr 50 Prozent weniger Neuplastik für Verpackungen einsetzen. Nun sollen es nur noch 30 Prozent bis 2026 sein. Hein Schumacher, CEO von Unilever, spricht von einem „neuen und notwendigen Realismus“.
In einer Umfrage der Unternehmensberatung Horvath zeigt sich, dass die grüne Transformation bei deutschen Topmanagern an Priorität verliert. Kostensenkungen, Cybersicherheit, Fachkräftemangel, digitale Transformation und Liquiditätssicherung stehen nun im Vordergrund. 2022 war die grüne Transformation noch unter den Top-Drei-Themen. (Handelsblatt, 12.06.2024)
Mercedes stoppt „Electric only“: Warum Unternehmen ihre grünen Ziele aufgeben
Mercedes-CEO Ola Källenius äußerte, dass die Transformation länger dauern könnte als gedacht. Die ursprüngliche „Electric only“-Strategie von Mercedes-Benz wurde aufgegeben. Statt ab 2030 fast nur noch Elektrofahrzeuge anzubieten, sollen es bis Ende der Dekade maximal 50 Prozent sein.
Auch Ölkonzerne wie Shell und BP kehren zu fossilen Projekten zurück. Amazon hat das Ziel, bis 2030 die Hälfte aller Auslieferungen klimaneutral zu gestalten, fallengelassen. Stattdessen strebt der Versandhändler bis 2040 Klimaneutralität an.
Der Nachhaltigkeitsexperte Andree Simon Gerken von PwC beobachtet, dass Unternehmen nicht mehr im Krisenmodus sind. Die relative Stabilisierung der Energiemärkte trägt dazu bei, dass die grüne Wende auf der Agenda nach hinten rückt.
Klimaziele in Gefahr: Warum Unternehmen ihre Umweltpläne überdenken müssen
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre ambitionierten Klimaziele in die Praxis umzusetzen. Viele hatten bisher nur theoretische Ziele ohne konkrete Pläne. Joel Makower von der Plattform Greenbiz betont, dass realistisch erreichbare Ziele und notwendige Instrumente nun im Fokus stehen.
Laut dem Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung könnten die Klimaziele bis 2030 verfehlt werden. Besonders Unilever kämpft mit wirtschaftlichen Herausforderungen. Recycelter Kunststoff ist teurer, und höhere Verkaufspreise lassen sich in der aktuellen Inflationslage schwer durchsetzen. Auch Investoren aus dem angelsächsischen Raum fordern Nachhaltigkeit, stellen jedoch finanzielle Ziele in den Vordergrund.
Grüne Projekte auf der Kippe: Warum der Mangel an Alternativen Unternehmen zum Umdenken zwingt
Ein weiteres Problem ist der Mangel an grünen Alternativen. Der Stahlhersteller Arcelor-Mittal muss den Produktionsstart seines klimafreundlichen Stahls möglicherweise verschieben. „Für den Betrieb der Anlagen sind wettbewerbsfähige Energiepreise und ausreichend grüner Wasserstoff notwendig“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens.
Auch das Zwei-Milliarden-Euro-Projekt von Thyssen-Krupp verzögert sich. Die Anlage für grünen Stahl in Duisburg soll nun erst 2027 in Betrieb gehen. Aida und Tui Cruises haben ihre Klimaziele ebenfalls angepasst. Beide Reedereien halten es für unrealistisch, bis 2040 klimaneutral zu sein, und peilen nun 2050 an.
Mittelstand in der Zwickmühle: Wie die neue EU-Richtlinie kleine Unternehmen zu nachhaltigem Handeln zwingt
Kleinere Unternehmen im deutschen Mittelstand sind stark von der nationalen Energieinfrastruktur abhängig. Ein Chemiemanager betont, dass viele Firmen aufgrund der aktuellen Konjunkturlage zuerst überleben müssen, bevor sie in die Dekarbonisierung investieren können. Die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) zwingt jedoch auch kleine und mittelgroße Unternehmen, sich realistische Nachhaltigkeitsziele zu setzen. Diese Ziele sollen von externen Dienstleistern geprüft werden.
Viele Unternehmen überprüfen daher ihre Klimaziele erneut und passen sie an die realistischen Gegebenheiten an. Eine ehrliche Überprüfung der eigenen Ziele ist der erste Schritt, um langfristig erfolgreich zu sein und die Umweltziele zu erreichen.
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