In die hiesigen Gasspeicher strömt aktuell russisches Gas (Stand: Mai 2022) und die Gasspeicherstände erhöhen sich langsam. Schon in diesem Jahr könnte LNG zur Substitution beitragen, nachdem Wirtschaftsminister Habeck die gesetzliche Grundlage für einen beschleunigten Ausbau von LNG-Terminals durch den Bundestag und den Bundesrat bringen konnte. Fachleute hoffen, dass uns Russland nicht vorher den Gashahn zudreht. Doch nicht alle sind von der schnellen deutschen Umstellung auf LNG begeistert: Teile der US-Industrie fordern sogar, die US-amerikanischen LNG-Exporte nach Europa zu stoppen, wobei es ihnen um den eigenen Bedarf geht.
Gasspeicherstände im Mai 2022
Anfang Mai 2022 meldete der europäische Gasinfrastruktur-Betreiber GIE einen Gesamtspeicherfüllstand in Deutschland von 40,8 %. Einen Monat zuvor hatte er bei 29,8 % gelegen. Habeck hatte schon vor Wochen das neue Speichergesetz verabschieden lassen, dass einen Füllstand von 90 % alljährlich am 1. November vorschreibt. Dieses Ziel könnte in 2022 erreicht werden, wenn sich die Speicher weiter so schnell füllen. Allerdings trägt auch das Verbrauchsverhalten dazu bei. Einen entscheidenden Unsicherheitsfaktor gibt es aber: Russland darf nicht seine Gaslieferungen einstellen. Die ersten LNG-Terminals werden frühestens im Dezember in Betrieb gehen, sie können also den Speicherstand am 1. November nicht beeinflussen.
Vorbereitungen für einen Ausfall der russischen Gaslieferungen
Die EU-Kommission hat in einem internen Papier Maßnahmen für den Totalausfall russischer Gaslieferungen evaluiert. So soll es europaweite Preisobergrenzen für Erdgas geben, die auch bei einem akuten Mangel gelten sollen. Kritiker merken allerdings an, dass die eine halbherzige Lösung sei, die a) den faktischen Mangel nicht beseitigt und b) dazu führen könnte, dass LNG-Lieferanten von sich aus weniger Flüssiggas nach Europa liefern könnten, weil sie einen Preisdruck nach unten fürchten. Schlimmstenfalls müsste wohl ein europäischer Einkaufsverbund das LNG mithilfe europäischer Subventionen kaufen und unter dem Einkaufspreis an die Verbraucher (private und auch industrielle?) abgeben. Dagegen spricht sich unter anderem die deutsche Regierung aus. Ihre Fachleute befürchten bei staatlichen Preisobergrenzen ein Versiegen des Börsenhandels für Gasfutures. Entweder müsste also die EU massiv subventionieren, oder die Preisobergrenze funktioniert prinzipiell nicht. Damit würden die Gaspreise für alle Verbraucher stark steigen.
Ist der deutsche Gasbedarf durch LNG zu decken?
Daran zweifeln Fachleute ebenfalls. Ein Lieferant wäre Katar. Das Emirat pocht auf langfristige Lieferverträge, die von deutscher Seite eigentlich nicht gewollt sind. Sie würden den Gasverbrauch womöglich noch auf Jahrzehnte festschreiben, was den deutschen und europäischen Klimaschutzzielen zuwiderläuft. In den USA wiederum, die auch LNG liefern, gibt es immer mehr Stimmen, die auf den eigenen Bedarf und steigende Preise verweisen, die sich durch verstärkte Exporte nach Europa noch mehr erhöhen würden. Es gibt laut der Nachrichtenagentur Reuters sogar US-Industriemanager, die den LNG-Export nach Europa komplett einstellen möchten. Dies ist andererseits nur eine Meinung in den USA. Die US-amerikanische Frackingindustrie will sehr gern nach Europa exportieren. Aus Fracking gewonnenes Gas kann zu LNG verflüssigt und dann mit Tankern verschifft werden. Frackinggas ist hierzulande sehr umstritten, doch im Falle einer Energiekrise dürften einschlägige Bedenken auf breiter Front fallen.
Bedenken der Umweltschützer
Gegen LNG opponieren auch deutsche Umweltschutzverbände. Ob sie sich durchsetzen und tatsächlich den Bau von LNG-Terminals verhindern können, darf bezweifelt werden, nachdem der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck im Mai 2022 das LNG-Beschleunigungsgesetz durch den Bundestag und den Bundesrat bringen konnte. Doch sie werden ihren Widerstand nicht aufgeben und könnten eine sehr rasche LNG-Versorgung zumindest etwas ausbremsen. Alle Faktoren zusammengenommen ist also mit Stand Mai 2022 ein leichtes Aufatmen bezüglich unserer Gasspeicherfüllstände angebracht, doch in trockenen Tüchern ist die Versorgung für den kommenden Winter noch längst nicht.