Deutschland geht notgedrungen einen neuen Weg bei der Gasversorgung: Es richtet sich auf Jahrzehnte darauf ein, mit LNG-Gas die Lücke zu schließen, die der russische Gasstopp hinterlassen hat. Doch dies schafft neue Abhängigkeiten (finanzmarktwelt, 12.07.2022).
Alternativloser Ausweg?
Wir stecken inmitten einer handfesten Gaskrise, Alternativen müssen her. Die Russen haben Nord Stream 1 offenkundig endgültig geschlossen, Nord Stream 2 soll von deutscher Seite aus nicht in Betrieb gehen. Daher scheint es derzeit nur eine Möglichkeit der Gasversorgung zu geben: Wir beziehen LNG (Liquefied Natural Gas, Flüssiggas) hauptsächlich aus den USA, aber auch aus anderen Staaten.
Die neuen Energiepartnerschaften vorrangig mit westlichen Ländern sollen nicht nur den aktuellen Engpass überbrücken, sondern auch die jahrzehntelange Abhängigkeit von Russland bei der Gasversorgung beenden. Das erscheint momentan alternativlos. Der Winter 2022/23 steht vor der Tür, die Gaspreise sind explodiert, erste Industriezweige fahren mangels Gas die Produktion drastisch herunter. Jedoch dürfen wir gerade beim LNG aus den USA nicht vergessen: Es handelt sich überwiegend um klimaschädliches Frackinggas, von dem wir uns nun möglicherweise auf viele Jahre abhängig machen.
Greenpeace bezeichnet Frackinggas als sechsmal klimaschädlicher gegenüber dem Pipelinegas, das wir aus aus Norwegen beziehen. Norwegen ist nur am Limit seiner Lieferkapazität angelangt.
Vertragsbindungen beim LNG
Bemerkenswert ist die Langfristigkeit vieler Verträge, die einheimische Importeure derzeit für den Bezug von LNG abschließen. Immerhin will Deutschland ab 2035 eigentlich nur noch mit grünem Strom wirtschaften. Dazu passt es nicht, sich aktuell noch auf Jahrzehnte an den Import von LNG zu binden. Bloomberg hat allerdings ermittelt, dass zumindest die Energieversorger RWE, EnBW und Uniper SE in jüngster Zeit mit US-amerikanischen Flüssiggaslieferanten Verträge mit 15- bis 20-jähriger Frist abgeschlossen haben (Bloomberg, 16.08.2022).
Das hatte man noch bis 2021 vermieden, weil Frackinggas als so umweltschädlich gilt. Doch der Gasschock hat die Unternehmen bewogen, sich mit Verve in eine neue Abhängigkeit zu stürzen. Der Vorstandsvorsitzende der Venture Global LNG Michael Sabel, der mit EnBW einen über 20 Jahre laufenden Vertrag abgeschlossen hat, teilte in der letzten Woche mit, dass derzeit viele Absichtserklärungen für solche Transaktionen existieren und es alsbald noch weitere Verträge mit diesen langen Laufzeiten geben werde. Damit wird das Energiedilemma Europas deutlich: Russland drosselt seine Gaslieferungen an die Europäer, die sich daraufhin langfristig weiter an fossile Brennstoffe binden, um der drohenden Rezession auszuweichen. Das ist ein schwerer Rückschlag auf dem eingeschlagenen Weg zur Klimaneutralität.
Im europäischen Fokus: LNG-Terminals
Ganz Europa forciert derzeit den Bau von LNG-Terminals, denn sie lassen sich vergleichsweise schnell errichten. Das Terminal in Wilhelmshaven wird derzeit mit Hochdruck an das Gasnetz angeschlossen. Für das geplante LNG-Terminal in Brunsbüttel läuft schon das Genehmigungsverfahren für die nötige Gasleitung.
Die Journalisten von Bloomberg zitieren den Präsidenten des US-Unternehmens Sempra Infrastructure LLC Dan Brouillette, das einen Vertrag RWE abgeschlossen hat. Dieser hatte auf der Mailänder Gastech-Branchenkonferenz in der letzten Woche berichtet, dass sich RWE sehr aktiv um stationäre schwimmende LNG-Terminals mit FSFRUs (Regasifizierungsanlagen) für Deutschland bemüht. Sein Unternehmen werde die benötigten Kapazitäten für diese Anlagen liefern, so Brouillette. Man habe ein großes Interesse an langfristigen Lieferbeziehungen zu Europa.
Gas versus Klimaziele?
Deutschland will an seinen Klimazielen festhalten und bis 2045 klimaneutral wirtschaften. Schon ab 2035 soll unser gesamter Strom aus erneuerbaren Quellen kommen. Die Gasnutzung steht dem entgegen, denn Erdgas belastet die Umwelt zwar weniger als Kohle, doch klimaschädlich ist es auch. Noch bis 2021 galt es lediglich als sogenannte Brückenlösung, also als Übergangslösung zur klimaneutralen Energieerzeugung.
Diese Übergangslösung ist nun im Begriff, zur Permanentlösung zu werden. Doch Fachleute weisen darauf hin, dass Deutschland das Erdgas ohnehin nicht so schnell wie gewünscht ersetzen kann. Die chemische Industrie und Stahlhütten benötigen es ebenfalls. Für den Bedarf reichen die bislang georderten LNG-Mengen noch nicht aus: Es müssten aus gegenwärtiger Sicht noch rund 40 Millionen Tonnen pro Jahr mehr sein. Das schätzt jedenfalls Tom Earl so ein, der Chief Commercial Officer des Unternehmens Venture Global. Innerhalb der nächsten rund acht Jahre könne der europäische Gesamtbedarf bei 200 Millionen Tonnen liegen, so der Fachmann.
Dieses Gas könne die USA nicht allein liefern. Dabei ist LNG nicht nur sehr teuer, sondern auch klimaschädlicher als Gas aus Pipelines. Es belastet also die Umwelt und befeuert durch seine Kosten die Inflation. Der Druck, es um jeden Preis einzukaufen, war aber durch den russischen Gaskrieg zu sehr gewachsen. Das Kieler Wirtschaftsinstitut warnt nun: Die hohen Importpreise für LNG seien mit ein Grund dafür, dass Deutschland möglicherweise im Jahr 2023 in die Rezession rutscht. Ökonomen erwarten ein negatives Wachstum von 0,7 %.