Die europäische Energiekrise hat ein Atomkraftprojekt vorangetrieben, das schon länger die noch effizientere Nutzung von Kernenergie verspricht, allerdings auch auf Kritik stößt: In Südböhmen (Tschechische Republik) wird im Atompark Temelín ein sogenannter Small Modular Reactor nun deutlich eher als ursprünglich geplant in Betrieb gehen. Das Mini-AKW soll ab 2030 den ersten Strom liefern und spätestens 2035 in Volllast laufen. Eine entsprechende Vereinbarung haben die Regierung Südböhmens und das Energieunternehmen ČEZ in der letzten Woche unterzeichne (Jihočeský kraj, 21.09.2022).
Hoffnungsträger Mini-AKW
Der SMR ist ein Mini-AKW mit vielen Vorteilen, unter anderem dem, dass die Anlage wegen ihrer geringen Größe schon beim Hersteller fertig montiert und dann an den Standort geliefert wird. Auch sehr sicher sollen SMRs sein, was allerdings nicht alle Fachleute glauben mögen. Der Standort des neuen tschechischen SMRs wird der Nuklearpark Südböhmen sein, der nun am Atomkraftwerk Temelín neu gegründet wurde. Die kleinen Ausmaße von SMRs erlauben im Gegensatz zu herkömmlichen AKWs ihre Serienfertigung, wie es von ČEZ heißt. Das Unternehmen betreibt bereits das AKW Temelín. Für die Entwicklung des SMR schloss es 2020 eine Kooperationsvereinbarung mit GE Hitachi ab, um an die nötige Technik zu gelangen. Bislang handelt es sich beim südböhmischen Mini-AKW um ein Pilotprojekt, dessen Ausführung der ČEZ-Tochterfirma ÚJV obliegt. Diese hat ihre Arbeit daran nun angesichts der europäischen Energiekrise erheblich beschleunigt.
Der Standort im South Bohemia Nuclear Park soll für Synergieeffekte bei der Planung, dem Aufbau und dem späteren Betrieb sorgen, weil schließlich im AKW Temelín schon entsprechendes Fachpersonal vorhanden ist. Der südböhmische Nuklearpark wurde unlängst mit einer Zeremonie eingeweiht, an der auch der tschechische Premierminister Petr Fiala teilgenommen hatte. Die Entwicklung des SMR soll nun auch in strahlungssicheren Räumlichkeiten im Kernkraftwerk Temelín fortgeführt werden. Das Planungsteam denkt schon an zwei weitere SMRs, wenn der Prototyp erfolgreich seinen Betrieb aufgenommen hat. Tschechien setzt verstärkt auf Kernenergie, auch am Standort des AKW Dukovany wäre der Bau eines Mini AKW möglich. Man wolle die Energiesicherheit des Landes auf diese Weise erhalten und stärken, so der CEO von ČEZ Daniel Beneš.
An den Export der Technologie denkt Tschechien ebenfalls: Am Standort Temelín soll demnach ein Schulungs-, Entwicklungs- und Servicezentrum für andere europäische Betreiber entstehen. Südböhmen solle damit technologisch führend werden, so Beneš. Damit könne man neben emissionsfreier, stabiler Energie auch die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt, die Hochschulbildung und weitere Sektoren fördern. In diesem Sinne äußerte sich bei der Einweihung auch der südböhmische Gouverneur Martin Kuba.
Weltweite Forschung an SMRs
SMRs gelten weltweit als Option, der Kernenergie doch noch eine Zukunft zu verschaffen. Es soll Unternehmen geben, die schon vor 2030 erste Mini-AKWs in Betrieb nehmen wollen. Immerhin können sie die klimaschädlichen Kohlekraftwerke ersetzen und tragen gleichzeitig zur energetischen Selbstversorgung von Staaten bei. In Tschechien hält man sie für sicher und sehr effektiv, wie der ČEZ-Manager Tomáš Pleskač erklärte. Dementsprechend hat die ČEZ-Gruppe in jüngster Zeit ihre Kooperationen mit weiteren Firmen ausgeweitet, die ebenfalls an der Technologie forschen. Neben GE Hitachi sind das Rolls Royce, NuScale, KHNP, EdF, Westinghouse und Holtec. Allerdings sucht ČEZ derzeit noch nach einem Investor, der die finanzielle Hauptlast der SMR-Entwicklung übernimmt.
Estland will ebenfalls einen SMR
Möglicherweise entsteht der erste europäische SMR auch in Estland, denn 2021 war wurde bekannt, dass der baltische Staat ebenfalls mit Hochdruck an der Technologie arbeitet. In Planung ist wohl ein relativ kleiner SMR mit einer Leistung unter 300 MW, der eventuell schon vor 2030 in Betrieb geht. Es gibt bisher auf der Welt noch kein einziges funktionierendes Mini-AKW, obwohl mehrere Staaten an der Technologie arbeiten. Bekannte SMR-Bauprojekte in einem fortgeschrittenen Stadium soll es derzeit in China und Argentinien geben. Es gibt prominente Fürsprecher der Technologie wie Microsoft-Mitgründer Bill Gates. Er tritt unter anderem als Mitfinanzierer des Unternehmens Terrapower auf, das ebenfalls an der SMR-Technik arbeitet.
Kritik aus Deutschland
Das deutsche BASE (Bundesamt für nukleare Entsorgung) steht dem SMR-Prinzip kritisch gegenüber. Im März 2021 hatten seine Experten vorgerechnet, dass wegen der kleinen Leistung der Anlagen (~300 MW, nicht über 1.000 MW) weltweit viele Tausend solcher Anlagen gebaut werden könnten. Dies würde wiederum Fragen zur Sicherheit, dem Rückbau sowie der Zwischen- und Endlagerung des radioaktiven Materials aufwerfen, die bislang ungeklärt seien. Damit würden SMRs die prinzipiellen Probleme der Kerntechnologie nicht aus der Welt schaffen.
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