Der drohende Gaslieferstopp aus Russland könnte zu einem schwerwiegenden technischen Problem führen, vor dem Klaus Müller als Präsident der Bundesnetzagentur warnt: Wenn der Gasdruck in den Leitungen sinkt, wird das Gas in Deutschland ungleichmäßig auf einzelne Kommunen und Regionen verteilt. Mangels Druck würden dann unter Umständen mehrere Hunderttausend Gasthermen ausfallen, die Fachkräfte von Hand wieder freischalten müssten. Das ist aufwendig und dauert tagelang. (WELT 03.07.2022)
Technischer Hintergrund zu den Problemen mit Gasthermen
Den technischen Hintergrund schildert Müller so: Wenn der Druck in einem Gasnetz unter einen definierten Schwellenwert sinkt, schalten sich Gasthermen über ihre eingebaute Sicherung automatisch ab. Dies soll technische Schäden durch Unterdruck verhindern. Ein zu schwacher Gesamtdruck im kompletten Gasversorgungsnetz führt geradezu zwangsläufig in manchen Regionen zu diesem Szenario. Hierfür genügt ein sehr kurzfristiges Unterschreiten des Mindestdrucks. Es bedarf dann geschulter Fachkräfte, um die Gasthermen wieder freizuschalten, sobald in der betreffenden Region wieder ausreichend viel Gas durchs Netz strömt. Damit das nicht geschieht, plant die Bundesnetzagentur, im Falle einer Gasunterversorgung zuerst Reduzierungen bei industriellen Verbrauchern anzuordnen. Dies sieht die dritte Notfallstufe Gas schon per Gesetz vor. Die zweite Notfallstufe hatte der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) schon am 23. Juni 2022 in Kraft gesetzt. Sie sieht noch keine Abschaltungen, aber ein sehr enges Monitoring der Versorgungslage vor.
Aktuell noch keine Notlage
Mit Stand 8. Juli 2022 sind die Gasflüsse noch gleichmäßig über ganz Deutschland verteilt. Das sollte auch so bleiben, bis die turnusmäßige Wartung von Nord Stream 1 vom 11. bis zum 21. Juli 2022 abgeschlossen ist. Sollte Russland danach wieder wie vertraglich vereinbart Gas liefern, dürfte es kein Problem geben. Sollte das Gas aber aus vorgeschobenen technischen Gründen nach der Wartung nicht mehr geliefert werden, droht das beschriebene Szenario. Deutschland würde dann nur noch Gas von den zusätzlichen Lieferländern Norwegen, Belgien und den Niederlanden sowie ein wenig LNG aus den USA erhalten. Dies genügt nicht für eine ausreichende Gasversorgung.
Noch sind die deutschen Gasspeicher im Durchschnitt zu 60 % gefüllt, doch sie würden sich dann sehr schnell leeren. In spätestens zwei Monaten und mithin pünktlich zum Beginn der Heizperiode wäre der Notstand da. Die Bundesnetzagentur achtet aktuell darauf, die deutschen Gasspeicher gleichmäßig zu füllen. Der größte deutsche Speicher befindet sich im niedersächsischen Rehden, er ist wohl auch am besten gefüllt. Nun konzentriere man sich auf den Südspeicher im bayerischen Wolfersberg, so Klaus Müller.
Aufruf zum Energiesparen
Die Bevölkerung soll unbedingt Energie sparen. Darauf weist Müller unermüdlich hin. Er befürchtet den Totalausfall der russischen Gaslieferungen und hofft, mit Einsparungen das Schlimmste verhindern zu können. Zu den Vorsorgemaßnahmen gehören das Absenken von Raumtemperaturen, aber auch die gründliche Wartung der Heizungsanlagen vor dem Beginn der Heizperiode. Dies spart bis zu 15 % Energie. Den Befürchtungen von Klaus Müller schließt sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an. Nach seinen Worten droht schon ab dem 11. Juli 2022 die Totalblockade von Nord Stream 1. Der Winter könne daher wirklich problematisch werden. Norwegen hat inzwischen signalisiert, noch mehr Gas nach Deutschland liefern zu können – allerdings erst ab 2024. Schon jetzt haben die norwegischen Exporte vom dortigen Festlandsockel ein neues Rekordniveau erreicht. Viel mehr geht rein technisch derzeit nicht.
Was passiert bei der dritten Notfallstufe Gas?
Die dritte Notfallstufe Gas wird bei einer Unterversorgung mit Gas ausgerufen. In diesem Fall werden die Gaslieferungen an Verbraucher entsprechend einem Stufenplan reduziert. Zuerst muss die Industrie verzichten, danach erhalten weniger bedeutende Gewerbebetriebe kein Gas mehr bzw. nur noch eingeschränkte Lieferungen. Dies könnte beispielsweise kleine Bäckereien betreffen, deren Energieverbrauch pro produzierter Backware deutlich über dem von Großbäckereien liegt. Es gibt dann also noch Brot, Brötchen und Kuchen, aber nur noch im Supermarkt. Die Privathaushalte, Krankenhäuser und Pflegeheime werden am längsten mit Gas versorgt. Allerdings müssen sie sich ebenfalls auf Einschränkungen einstellen. Schon Anfang Juli reduzierte die Wohnungsgenossenschaft Dippoldiswalde im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge wegen der gestiegenen Gaspreise die Warmwasserversorgung für ihre Mieter. Diese erhalten heißes Wasser aus der Leitung seither nur noch stundenweise. Eine Hamburger Wohnungsgenossenschaft plant so einen Schritt. Darauf müssen wir uns im kommenden Winter wahrscheinlich flächendeckend einstellen.
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