Zweifel am Konzept des „grünen“ Stahls

Die Debatte um die Zukunft der Stahlindustrie gewinnt an Schärfe. Die CDU warnt vor einer drohenden Deindustrialisierung, während Klimaexperten auf die Notwendigkeit eines Wandels pochen. Friedrich Merz äußerte im Januar Zweifel am Konzept des „grünen“ Stahls. Er stellte die Frage, woher der notwendige Wasserstoff kommen solle und wie Unternehmen die erheblichen Mehrkosten stemmen könnten. Eine Tonne „grüner“ Stahl kostet derzeit mindestens 300 Euro mehr als herkömmlicher Stahl. Seine kritische Haltung zu den wirtschaftlichen Risiken rief jedoch umgehend scharfe Reaktionen hervor (nd-aktuell: 17.02.25).


Politischer Druck und Meinungswandel

Kurz nach seinen Äußerungen ruderte Merz zurück. Er bekannte sich plötzlich zur Unterstützung erneuerbarer Energien und grüner Stahlproduktion. Diese abrupte Kurskorrektur wirft Fragen auf: War es politischer Druck oder Einflussnahme einer mächtigen Lobby?

Die Debatte über das Konzept des grünen Stahls wird intensiver  - für die Industrie summieren sich diese Zusatzkosten auf Milliardenbeträge
Die Debatte über das Konzept des grünen Stahls wird intensiver – für die Industrie summieren sich diese Zusatzkosten auf Milliardenbeträge

Deutschland kämpft bereits mit explodierenden Energiepreisen und komplexen Umweltauflagen. Unternehmen geraten zunehmend unter Druck, und die Gefahr einer massiven Abwanderung energieintensiver Industrien wächst.

Hohe Kosten und zweifelhafte Einsparungen

Die Mehrkosten von 300 Euro pro Tonne mögen für ein einzelnes Produkt verkraftbar erscheinen, doch die Gesamtrechnung fällt drastisch aus. Für die Stahl-, Automobil- und Maschinenbauindustrie summieren sich diese Zusatzkosten auf Milliardenbeträge. Wettbewerber aus Ländern mit niedrigeren Energiekosten haben einen erheblichen Vorteil. Trotz der gewaltigen finanziellen Belastung für Unternehmen wird der tatsächliche Beitrag zur CO2-Reduktion als gering eingeschätzt. Laut Transport & Environment (T & E) könnte „grüner“ Stahl die Emissionen der europäischen Autoindustrie bis 2030 um knapp sieben Millionen Tonnen senken. Im globalen Maßstab ist dieser Effekt jedoch marginal.

Unsicherheiten bei der Dekarbonisierung der Industrie

Ein aktuelles Gutachten des Expertenrats für Klimafragen zeigt, dass die Elektrifizierung energieintensiver Prozesse kaum vorankommt. Der Anteil der Kohle am Energieverbrauch der Metallerzeugung stieg zwischen 2020 und 2023 sogar von 51 auf 53 Prozent. Kohle ist schlicht günstiger als Gas.

Fehlender Wasserstoff und unrealistische Erwartungen

Wasserstoff gilt als Schlüsseltechnologie, doch die Realität hinkt den Erwartungen hinterher. Die Inlandsproduktion ist kaum ausgebaut, und auch beim Import bestehen massive Engpässe. Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Klima-Expertenrats, stellt daher die Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, Wasserstoff nach Deutschland zu importieren, um energieintensive Vorprodukte herzustellen? Oder wäre es effizienter, diese direkt in Ländern mit günstigen erneuerbaren Energien zu produzieren?

Strukturelle Schwächen der deutschen Industrie

Der im Dezember veröffentlichte Ariadne-Report unterstreicht, dass Stahl- und Chemieindustrie zwar essenzielle Grundstoffe liefern, aber nur einen geringen Beitrag zur deutschen Wertschöpfung leisten. 2019 arbeiteten in der Stahlbranche etwa 120.000 Menschen – nur 0,25 Prozent aller Erwerbstätigen. Die Branche generiert lediglich 0,3 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung. Dennoch fließen Milliarden an Subventionen in diesen Sektor, während andere zukunftsträchtigere Industrien weniger Unterstützung erhalten.

Subventionen mit unsicherer Rendite

Die Kosten für den Wandel sind enorm. Milliardenbeträge müssten investiert werden – für erneuerbare Energien, Wasserstoff-Infrastruktur und neue Produktionsverfahren. Ob sich diese gewaltigen Ausgaben langfristig amortisieren, bleibt fraglich. Der Ariadne-Report bezeichnet eine flächendeckende Transformation energieintensiver Industrien in Deutschland als „unrealistisch“. Neben der geringen Wettbewerbsfähigkeit gibt es physikalische und ökonomische Gründe, die gegen diesen Ansatz sprechen.

Abwanderung der Industrie als reales Risiko

Subventionen können wirtschaftliche Realitäten nicht aufheben. Hohe Produktionskosten und unsichere Energieversorgung treiben Unternehmen ins Ausland. China, Indien und die USA bieten günstigere Rahmenbedingungen. Bereits jetzt verlagern große Chemie- und Stahlkonzerne ihre Produktion zunehmend in diese Länder. Die Gefahr einer strukturellen Deindustrialisierung ist real und bereits im Gange.


Ein realistisches Konzept für die Zukunft

Statt auf flächendeckende Subventionen für „grünen“ Stahl zu setzen, empfiehlt der Ariadne-Report eine Fokussierung auf industrielle Weiterverarbeitung mit hoher Wertschöpfung. Nicht der grüne Stahl selbst, sondern technologisches Know-how entscheidet über die Zukunft des Standorts Deutschland. Philipp Verpoort vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung erklärt: „Wichtig ist, dass es sich bei den importierten Produkten nicht notwendigerweise um fertige Grundstoffe wie Stahl, Düngemittel oder Kunststoffe handelt, sondern um sogenannte Vorprodukte wie Eisenschwamm, Ammoniak oder Methanol.“

Das Konzept: Den energieintensivsten Produktionsschritt auslagern, während die hochwertige Verarbeitung in Deutschland bleibt. Dies wäre eine pragmatische Lösung für den Erhalt der industriellen Wettbewerbsfähigkeit. Die aktuelle Strategie hingegen birgt das Risiko, Milliarden in eine Sackgasse zu investieren, ohne langfristige wirtschaftliche Vorteile zu erzielen.

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Zuletzt aktualisiert am Januar 14, 2025 um 20:39 . Wir weisen darauf hin, dass sich hier angezeigte Preise inzwischen geändert haben können. Alle Angaben ohne Gewähr.
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