Die europäische Stahlindustrie setzt große Hoffnungen in das Konzept der „Leitmärkte“, das von Ursula von der Leyen, der Präsidentin der Europäischen Kommission, als Teil eines neuen „Clean Industrial Deal“ vorgeschlagen wurde. Dieses Konzept könnte öffentliche Behörden und stahlverarbeitende Sektoren dazu verpflichten, grünen Stahl zu erwerben. Die Idee wird bereits von führenden deutschen Politikern unterstützt und könnte ein entscheidender Schritt dazu sein, teuren grünen Stahl am Markt absetzen zu können (euractiv: 30.08.24).
Von der Leyens Vorstoß und die Bedeutung der Leitmärkte
In einer Rede, die ihre Prioritäten vor der Wiederwahl als Präsidentin der Europäischen Kommission am 18. Juli skizzierte, betonte Ursula von der Leyen die Notwendigkeit eines „Clean Industrial Deal“. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Deals ist die Einführung von Leitmärkten für klimafreundliche Materialien. Diese Märkte sollen die Nachfrage nach grünem Stahl und anderen umweltfreundlichen Produkten stimulieren.
Bisher haben sich die Bemühungen der EU auf die Subventionierung umweltfreundlicher Produktionsmethoden konzentriert, wie etwa die Verwendung von Wasserstoff oder erneuerbarem Strom bei der Stahlherstellung. Diese Maßnahmen allein reichen jedoch nicht aus, um die Nachfrage nach grünem Stahl signifikant zu steigern. Hier setzt das Konzept der Leitmärkte an. Es soll öffentliche und private Nachfrage nach umweltfreundlichen Produkten fördern und so den Markt für grünen Stahl langfristig sichern.
Axel Eggert, Generaldirektor des europäischen Stahlherstellerverbands Eurofer, unterstreicht die Bedeutung dieser Maßnahme. Er betont, dass die Kosten für die Herstellung von grünem Stahl höher sind als für herkömmlichen Stahl, was es schwierig macht, unter normalen Marktbedingungen Käufer zu finden. Ohne eine gezielte Förderung der Nachfrage würde grüner Stahl keinen breiten Abnehmermarkt finden.
Breite Unterstützung für das Konzept in Deutschland
In Deutschland findet das Konzept der Leitmärkte bereits breite Unterstützung, sowohl in der Politik als auch bei Gewerkschaften und Umweltschützern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die Europaabgeordneten der CDU/CSU haben sich positiv zu von der Leyens Vorschlag geäußert. Auch Ökonomen befürworten diesen Ansatz, da er als marktwirtschaftlichere Alternative zu direkten Subventionen für die Stahlindustrie gilt.
Klaus Schmidt, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität München, sieht in den Leitmärkten einen effektiveren Weg zur Unterstützung der Stahlindustrie. Anstatt direkte staatliche Subventionen an die Hersteller zu geben, könnten Leitmärkte die Nachfrage nach grünem Stahl steigern. Dies würde Investitionen in neue, klimafreundliche Produktionsanlagen ermöglichen. Es wäre ein entscheidender Schritt, um die hohen Produktionskosten von etwa 300 Euro pro Tonne auszugleichen. Zum Vergleich: Herkömmlicher Stahl wird für 600 bis 800 Euro pro Tonne verkauft. Leitmärkte könnten somit helfen, diese Kostenlücke zu schließen und die Industrie klimafreundlicher zu gestalten.
Öffentliche Beschaffung als Hebel für die Schaffung grüner Märkte
Ein weiteres zentrales Element des Vorschlags ist die Rolle der öffentlichen Beschaffung. Öffentliche Stellen in der EU geben jährlich etwa zwei Billionen Euro für den Kauf von Waren und Dienstleistungen aus, ein Großteil davon für Infrastrukturprojekte. Diese enormen Ausgaben könnten genutzt werden, um den Markt für grünen Stahl anzukurbeln. Bislang achten viele Behörden jedoch vor allem auf den Preis, wenn es um die Auswahl von Auftragnehmern geht.
Ursula von der Leyen hat in ihren Leitlinien für ihre zweite Amtszeit darauf hingewiesen, dass europäischen Produkten bei der öffentlichen Beschaffung den Vorzug erhalten sollten. Schmidt hingegen warnt davor, europäischen Stahl gegenüber Importen zu bevorzugen. Er betont die Bedeutung des internationalen Wettbewerbs, um die Kosten für grüne Technologien zu senken und diese global zu verbreiten.
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