Von deutschen Tomaten bis hin zu schwedischem Brot – Russlands Druck auf die Gaslieferungen trifft allmählich immer mehr Sektoren. Die Krise geht weit über Versorgungsunternehmen und energieintensive Industrien hinaus. Die Auswirkungen auf die Versorgung mit Lebensmitteln und Getränken werden sich wahrscheinlich noch verstärken. Sobald die Temperaturen sinken und die Haushalte heizen müssen stehen Unternehmen und Verbraucher vor schwierigen Entscheidungen (Bloomberg, 13.09.2022).
Fehlendes CO2 sorgt für massive Probleme
Die Brauerei Huyghe im belgischen Melle erwog, die Produktion einzustellen. Der Preis für flüssiges Kohlendioxid, das man zur Herstellung von Bier verwendet, ist um das 13-fache angestiegen.
Alain De Laet, Inhaber des Familienunternehmens, sagte, dass seine CO2-Vorräte in dieser Woche zur Neige gehen. Zum ersten Mal seit 1906 kann dies einen Stillstand erzwingen, es sei denn, die Lieferungen eines vorübergehenden Lieferanten kommen an.
„Ich glaube es erst, wenn ich es in der Brauerei habe“, sagte er.
Die Europäische Union versucht, die durch die russischen Gaskürzungen verursachte Krise einzudämmen. Russland deckte im vergangenen Jahr etwa 40 % des Bedarfs der Union an diesem Brennstoff. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird am Mittwoch ein verbindliches Ziel zur Senkung des Stromverbrauchs vorschlagen. Ein weiterer Schritt in Richtung Rationierung. Zudem erwartet man Maßnahmen, um die Gewinne der Energieunternehmen an die notleidenden Verbraucher weiterzuleiten.
Die Schwierigkeiten der belgischen Brauerei wurden durch eine Kette von Unglücken ausgelöst. Dies zeigt wie sehr die europäische Wirtschaft miteinander verflochten ist. Der norwegische Düngemittelriese Yara International ASA stellte die Ammoniakproduktion in einer Anlage in den Niederlanden ein. Das wiederum traf Huyghes Zulieferer Nippon Gases, der 3.350 Euro pro Tonne für CO2 verlangte, statt zuvor 250 Euro.
„Derzeit ist eine auf Gas basierende Produktion in Europa nicht rentabel“. So Tiffanie Stephani, Yaras Vizepräsidentin für europäische Regierungsbeziehungen, per E-Mail gegenüber Bloombeg. „Wir werden die Situation weiterhin beobachten und unsere Produktion anpassen.“
Nippon lehnte eine Stellungnahme unter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren ab.
Bier- und Getränkehersteller in ganz Europa sind von der Krise betroffen
Huyghe ist nicht allein. Carlsberg A/S erklärte, dass es die Bierproduktion in Polen aufgrund eines Mangels an flüssigem CO2 möglicherweise „erheblich reduzieren“ oder einstellen muss. Eine Handvoll anderer belgischer Brauereien ist ebenfalls von dem Problem betroffen, und die Besorgnis über eine Ansteckung wächst.
„Vor ein paar Monaten funktionierte die Branche noch wie ein Schweizer Uhrwerk“, sagte Krishan Maudgal, Leiter des belgischen Brauereiverbandes. Aufgrund der neuen Situation mit den steigenden Gaspreisen hat sich das auf die gesamte Wertschöpfungskette ausgewirkt.
Ammoniak, das mit Erdgas hergestellt wird, ist von dem Preisanstieg stark betroffen. Dieser Preisanstieg wurde ausgelöst, nachdem Russland als Vergeltung für die Sanktionen die Gaslieferungen gekürzt hat. Eine Welle von Abschaltungen hat dazu geführt, dass mindestens die Hälfte der Produktionskapazitäten in der Region nicht mehr zur Verfügung steht. Dies führte nicht nur zu einem Engpass bei Düngemitteln, sondern auch bei CO2, einem Nebenprodukt des Prozesses.
Kohlendioxid ist ein wichtiger Bestandteil der Lebensmittelindustrie. Es wird zum Betäuben von Schlachtvieh verwendet, aber auch in Verpackungen, um die Haltbarkeit zu verlängern, und in Trockeneis, um Waren während des Transports gefroren zu halten.
Lebensmittelhersteller kämpfen mit stark gestiegenen Kosten
Der britische Online-Lebensmitteldienst Ocado Group Plc teilte mit, dass die gestiegenen Kosten für Dinge wie Trockeneis und Energie die Gewinne im vierten Quartal wahrscheinlich belasten werden. Diese Kombination zeigt, wie schwierig es für Unternehmen sein wird, höhere Ausgaben weiterzugeben. Die Haushalte kämpfen selbst damit, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen.
Für die Wittenberg Gemuese GmbH bedeutete die Unterbrechung der Ammoniakproduktion auch den Verlust der für den Betrieb ihrer Gewächshäuser benötigten Heizung und des Warmwassers.
Das deutsche Unternehmen, das Tomaten, Erdbeeren und Paprika anbaut, ist sowohl bei der Wärmeversorgung als auch bei der CO2-Versorgung auf die SKW Piesteritz GmbH angewiesen. Als Deutschlands größter Hersteller von Ammoniak und Harnstoff letzte Woche seine Produktion einstellte, war das Unternehmen auf sich allein gestellt.
„Ohne Heizung geht hier gar nichts“, sagte Kevin van IJperen, Leiter der Anlage. „Wir hatten noch Glück, denn in der letzten Woche waren die Temperaturen mild. Wäre dies später im Jahr passiert, hätten wir große Verluste gehabt.“
Der Ausfall bei SKW, für das Gespräche über ein staatliches Rettungspaket laufen, birgt weitere Risiken für die deutsche Wirtschaft. Das Unternehmen deckt etwa 40 % des deutschen Bedarfs an AdBlue. Der Zusatzstoff, der verwendet wird, um die Abgase von Dieselfahrzeugen weniger schädlich zu machen. Eine Verknappung könnte dazu führen, dass Lastwagen von der Straße abgezogen werden.
In Schweden schloss sich Pagen, eine der größten Bäckereien des Landes, anderen Lebensmittelherstellern an und warnte vor den Risiken für die Lebensmittelversorgung durch steigende Energiekosten und die Gefahr von Stromausfällen.
Eine einsekündige Stromunterbrechung im Juni beeinträchtigte die Produktion von Pagen vier Wochen lang. So die Leiterin der Abteilung für Kommunikation und Nachhaltigkeit, Berith Apelgren, gegenüber lokalen Medien. Sie fügte hinzu, dass wiederholte Ausfälle „unvorstellbar“ seien.
In Belgien hat Premierminister Alexander De Croo davor gewarnt, dass die europäische Wirtschaft durch einen Dominoeffekt, der durch die Energiekrise verursacht wird, zum Stillstand kommen könnte.
„Deshalb bin ich der Meinung, dass Interventionen auf dem Gasmarkt das A und O sind“, sagte er in einem Interview. „Wenn man das richtig macht, sind viele andere Dinge eigentlich weniger wichtig, denn das ist das treibende Element.“