Im Streit um die Reform des europäischen Strommarktes zeichnet sich keine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich ab. Emmanuel Macron und Olaf Scholz trafen sich in Hamburg. Macron zeigte sich optimistisch. Er hofft auf eine Lösung bis Monatsende. Allerdings bleiben Diplomaten über die genaue Bedeutung dieser Aussage im Dunkeln. Im Kern des Streits steht die Frage ob die Atomkraftförderung zur Erreichung der EU-Klimaziele in der Strommarkt-Reform berücksichtigt wird oder nicht. Deutschland ist strikt dagegen (FAZ: 16.10.23).
Strommarkt-Reform in der EU: Streit um Atomkraft und Subventionen eskaliert
Die Strommarkt-Reform reagiert auf die Rekordpreise im Sommer 2022. Sie hat zum Ziel, den Ausbau kohlenstoffarmer Energiequellen zu fördern und die Preise zu stabilisieren. Die EU-Kommission hat in ihrem Vorschlag das grundlegende Marktdesign beibehalten, bei dem weiterhin der teuerste eingesetzte Energieträger den Preis bestimmt. Der Hauptpunkt der Reform besteht darin, dass Subventionen für erneuerbare Energien und Atomkraft nur noch in Form von sogenannten zweiseitigen Differenzverträgen („Contracts for Difference“) gewährt werden sollen.
Diese Verträge funktionieren so, dass der Staat mit dem Anlagenbetreiber einen Garantiepreis vereinbart. Wenn der Marktpreis niedriger ist, zahlt der Staat die Differenz an den Betreiber, um sichere Einnahmen zu gewährleisten. Ist der Marktpreis höher, muss der Betreiber die Differenz an den Staat zahlen, der das Geld dann zur Unterstützung der Energieverbraucher verwenden kann.
Deutschland und Frankreich ringen um Atomkraft: Europas Strommarkt in Gefahr
Der Hauptstreitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich besteht darin, ob diese Differenzverträge auch für bestehende Atomanlagen gelten sollen. Frankreich könnte dann den gesamten Atompark mit niedrigen Garantiepreisen ausstatten und so einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Deutschland versucht, dies zu verhindern, indem es die Nutzung von Differenzverträgen für bestehende Kraftwerke blockiert. Beide Seiten haben Unterstützung von anderen EU-Mitgliedstaaten erhalten und Positionspapiere vorgelegt, die den Konflikt verdeutlichen. Es bleibt abzuwarten, ob es möglich ist, diesen Streit zu lösen und welche Auswirkungen dies auf den europäischen Strommarkt haben wird.
Der entscheidende Abschnitt im Kommissionsvorschlag zum Strommarktdesign ist Artikel 19b. Ein Kompromissvorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft letzte Woche begrenzte die Differenzverträge auf Investitionen in Neuanlagen. Das klingt auf den ersten Blick positiv, aus Sicht Berlins. Das Problem ist jedoch, dass nicht klar definiert ist, was genau darunter fällt. Könnte Frankreich diese Regelung beispielsweise auf Investitionen in „Repowering“ an bestehenden Anlagen anwenden? Dieser Begriff wurde von der EU-Kommission ins Spiel gebracht, um der französischen Regierung zu helfen. In diesem Fall hätte Berlin keinen Nutzen davon.
Strommarkt-Reform: Deutschland und Frankreich ringen um Atomkraftsubventionen
Die Bundesregierung könnte möglicherweise damit leben, wenn an anderer Stelle klargestellt würde, dass Frankreich nicht einfach Milliardensummen an die Industrie weiterleiten und so den Binnenmarkt verzerren könnte. Für die Bundesregierung wäre es ideal, wenn sich die Minister auf die Linie einigen würden, die vom Europaparlament beschlossen wurde: In diesem Fall wären Differenzverträge auf den Anteil neuer Investitionen in Atomkraftanlagen begrenzt. Dies dürfte für Paris jedoch kaum akzeptabel sein, da es seinen Handlungsspielraum stark einschränken würde.
Letztendlich müssen der Ministerrat und das Europaparlament noch eine gemeinsame Linie finden, damit die Reform des EU-Strommarktes in Kraft treten kann. Selbst wenn der Ministerrat sich am Dienstag einigt, ist die Diskussion damit noch nicht abgeschlossen. Berlin und Paris werden weiterhin versuchen, Artikel 19b in ihrem Sinne zu gestalten.
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