Deutschland steht vor einem tiefgreifenden Umbau seiner Energieversorgung. Während Wirtschaftsministerin Katherina Reiche einen klaren Kurswechsel für die Energiewende ankündigt, drängt Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), auf mehr Effizienz und eine gerechtere Verteilung der Netzkosten. Nach seiner Einschätzung entscheidet sich jetzt, wie tragfähig das Energiesystem in den kommenden Jahrzehnten sein wird (t-online: 20.09.25).
Stadtwerke als Schlüsselakteure
Viele Bürger erleben die Energiewende nicht über große politische Programme, sondern direkt über ihre Stadtwerke. Der VKU vertritt diese Versorger und legt regelmäßig Berichte vor, die den Stand der Dinge beleuchten. Liebing betont, dass die finanzielle Stabilität der kommunalen Unternehmen ebenso wichtig sei wie bezahlbare Strompreise für Haushalte. Ohne ein Umdenken drohten ausufernde Kosten, die nur mit immer höheren Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt gestützt werden könnten.

Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz verfolgt das Ziel, die Lasten der Energiewende neu zu ordnen. Statt pauschaler Subventionen für jede Form von erneuerbarer Energie soll stärker auf Wirtschaftlichkeit und gezielten Zubau geachtet werden. Dazu gehört auch ein beschleunigter Ausbau moderner Gaskraftwerke, um die Versorgung nach dem Abschalten der Kohlemeiler zu sichern.
Einspeisevergütung läuft aus
Ein zentrales Element der aktuellen Reformen betrifft die Solarförderung. Nach den Plänen aus Berlin endet die Einspeisevergütung für PV-Dachanlagen. Liebing hält diesen Schritt für längst überfällig: „Eine PV-Dachanlage ist auch ohne Förderung wirtschaftlich betreibbar.“ Milliarden fließen derzeit jährlich aus dem Bundeshaushalt in diese Subventionen, obwohl Solarstrom 2024 nur rund 15 Prozent zum deutschen Energiemix beigetragen hat.
Die Folge sei eine Verzerrung, weil Hausbesitzer mit Solaranlage, Speicher und Wallbox von Mehrfachförderungen profitieren, während andere Haushalte über ihre Stromrechnung die Netzkosten finanzieren. Deshalb fordert Liebing höhere Grundpreise, die alle Verbraucher solidarisch tragen.
Smart Meter als Engpass
Neben der Solarpolitik rückt der schleppende Ausbau intelligenter Messsysteme in den Blick. Gutachter empfehlen sogar Sanktionen für Unternehmen, die mit dem Rollout nicht vorankommen. Liebing räumt ein, dass das System lange zu kompliziert und unwirtschaftlich organisiert war. Dennoch sieht er Chancen: Kooperationen zwischen Stadtwerken und Dienstleistern könnten den Prozess beschleunigen. Gleichzeitig verweist er auf die Bedeutung von Anreizen, die Innovation und Zusammenarbeit fördern.
Die Einführung von Smart Metern bildet für ihn eine zentrale Voraussetzung, um Stromerzeugung, Eigenverbrauch und Einspeisung effizienter zu steuern. Gerade im Zusammenspiel mit Solaranlagen und Speichern könnten intelligente Zähler helfen, Lastspitzen zu vermeiden und Kosten zu senken.
Regionale Steuerung statt Wildwuchs
Ein weiteres Thema betrifft die räumliche Planung neuer Anlagen. Das Gutachten, auf das sich Liebing bezieht, zeigt drastisch steigende Kosten beim Netzausbau. Oft entstünden neue Solar- oder Windparks unabhängig von vorhandenen Netzkapazitäten. Netzbetreiber müssten dann im Nachhinein kostspielig Leitungen schaffen.
Für Liebing liegt die Lösung in einer engeren Verzahnung von Erzeugung und Netzinfrastruktur. Wer einen großen PV-Park in einem Gebiet ohne ausreichenden Anschluss plane, solle sich finanziell am Netzausbau beteiligen. Dadurch entstünden Anreize, Standorte mit vorhandener Infrastruktur zu nutzen.
Gerechtigkeit beim Netzausbau
Besonders kritisch betrachtet Liebing die Rolle privater PV-Anlagen. Zwar schätzt er die Eigenversorgung vieler Haushalte, warnt aber vor einer Entsolidarisierung. Denn für die letzten 10 bis 20 Prozent des Strombedarfs sowie für die Einspeisung überschüssiger Energie bleibt das öffentliche Netz unverzichtbar. Die Kosten für dessen Ausbau tragen jedoch überwiegend andere Verbraucher, da Besitzer von PV-Anlagen oft nur geringe Netzentgelte zahlen.
Eine Anpassung der Grundgebühr sei daher nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch sozial gerechter. Schließlich könnten sich viele Familien die Kombination aus Dachanlage, Speicher und E-Auto gar nicht leisten, müssten aber über ihre Stromrechnung den wachsenden Netzausbau und die entsprechenden Netzkosten finanzieren.
Reservekraftwerke als Sicherheitsnetz
Die Debatte über faire Kostenbeteiligung reicht bis hin zu Reservekraftwerken. Diese sollen einspringen, wenn Sonne und Wind nicht genug Energie liefern. Liebing stellt klar, dass deren Finanzierung alle tragen müssten – entweder über Steuermittel oder über Umlagen auf den Strompreis.
Er verweist auf den Monitoringbericht, der die Systemkosten der Energiewende detailliert darstellt. Strom aus Sonne und Wind mag auf den ersten Blick billig erscheinen, doch für Speicher, Netzausbau und Reservekapazitäten fallen erhebliche Summen an. Deshalb müsse die Debatte über Klimaziele stets auch die Bezahlbarkeit im Blick behalten.
Verantwortung für kommende Generationen
Für Liebing steht außer Frage, dass Deutschland klimaneutral werden muss. Er betrachtet dies als Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen. Doch ohne Kosteneffizienz und faire Lastenteilung droht die gesellschaftliche Akzeptanz zu bröckeln.
Sein Fazit lautet: „Das Energiesystem muss in sich effizienter sein.“ Nur so könne die Transformation gelingen, ohne Bürger und Unternehmen zu überlasten. Die nächsten Jahre entscheiden, ob der Umbau der Energieversorgung zu einem stabilen Fundament oder zu einer wachsenden Belastung wird.
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