Die EU überlegt, wie man die Strompreise in Deutschland regeln kann. Da es zu wenig Stromleitungen zwischen Nord- und Süddeutschland gibt, wird eine Aufteilung Deutschlands in mehrere Preiszonen in Betracht gezogen. Dadurch könnte der Strompreis besonders in Bayern steigen. Es gibt aber noch einen anderen Vorschlag, den man in Erwägung ziehen kann. (br24, 21.01.2023)
Am Sonntag, den 15.01.2023, war die Lage wieder einmal brisant: Der Wind wehte stark und die Windparks im Norden Deutschlands produzierten Strom zu sehr günstigen Preisen. Kunden im Süden wollten den billigen Strom auch gerne haben, aber die Leitungen zwischen Nord und Süd konnten den Ansturm nicht bewältigen, da sie in ihrem Ausbau hinter dem geplanten Zeitrahmen zurückliegen. Auf dem Papier haben die Kunden im Süden den billigen Strom trotzdem bekommen, aber in Wirklichkeit mussten die Netzbetreiber Windräder im Norden abschalten und stattdessen teure Kohlekraftwerke im Süden einschalten. Die Kosten für diesen Vorgang werden schließlich auf alle deutschen Stromkunden und Steuerzahler aufgeteilt.
EU fordert getrennte Strompreiszonen für Deutschland
Die Europäische Union fordert eine getrennte Preisgestaltung beim Strom, die sich an den physikalischen Gegebenheiten des Stromnetzes orientiert. Dies bedeutet, dass in Gebiete, in denen es nur wenige Leitungen gibt, Preiszonen voneinander abgetrennt werden sollten. Diese Preiszonen gibt es bereits in anderen Ländern. Beispielsweise hat Norwegen sechs, Italien sogar sieben und Dänemark zwei Preiszonen. Deutschland hingegen betrachtet das ganze Land als eine einzige Kupferplatte, auf der Strom in beliebigen Mengen verschickt werden kann. Daher wird seit Jahren diskutiert, ob man auch hier mehrere Preiszonen einführen sollte.
Im letzten August hat die EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vorgeschlagen, Deutschland in bis zu fünf verschiedene Strompreiszonen aufzuteilen. Die Übertragungsnetzbetreiber untersuchen im Moment, was die Auswirkungen solcher Teilungen auf die verschiedenen Unternehmen sein könnten. Dafür werden 22 Parameter berechnet. Laut Manuela Wolter vom Netzbetreiber Tennet ist diese Auswertung sehr kompliziert. Bis zum Sommer soll das Ergebnis vorliegen, aber die Netzbetreiber äußern sich nicht dazu. Sie liefern lediglich die Daten.
Deutschland’s einheitliche Preiszone bedroht – Lösungsansatz gesucht
Andreas Jahn, der für die Denkfabrik Regulatory Assistance Project (RAP) arbeitet, welche unter anderem von der European Climate Foundation finanziert wird, sieht Deutschland’s einheitliche Preiszone auf Dauer nicht gesichert. Im Jahr 2021 wurden für den Redispatch, der zur Stabilisierung des Stromnetzes nötig ist, 1,2 Milliarden Euro aufwändig. Aufgrund der gestiegenen Strompreise sind diese Kosten weiter explodiert, weshalb die Bundesregierung mit Steuergeld einspringt und die Entgelte für das Übertragungsnetz gedeckelt hat.
Um die angestrebte Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen, wird der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik so schnell voran gehen, dass das Stromnetz nicht mithalten kann. Dieser Engpass ist strukturell und nicht innerhalb kurzer Zeit zu beheben. Daher müssen wir eine Lösung finden, um damit umzugehen.
Strompreise in Süddeutschland könnten steigen
Wenn Bayern und Baden-Württemberg eine eigene Strompreiszone hätten, würde der Strompreis in Süddeutschland vermutlich steigen. Grund dafür ist, dass hier wenig Windstrom produziert wird und gleichzeitig viel Strom verbraucht wird, vor allem aufgrund der vielen Industrie. Erfahrungen aus Österreich bestätigen dies: Nachdem der Strommarkt 2018 von Deutschland abgetrennt wurde, stiegen die Preise im ersten Jahr um acht Prozent, da Österreich nicht mehr unbegrenzt billigen Windstrom aus Norddeutschland importieren konnte.
Wenn Strompreise höher sind, würde es einen Anreiz geben, mehr Windkraftanlagen im Süden zu bauen. Im Gegenzug würde der Strompreis im Norden sinken und somit wäre es attraktiver, energieintensive Industrieanlagen oder auch Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion dorthin zu verlagern, wo mehr Strom vorhanden ist. Dadurch könnte der überschüssige Windstrom, der im Norden nicht selbst verbraucht wird, in Zukunft zur Wasserstoffproduktion verwendet werden, anstatt dass er virtuell nach Baden-Württemberg verkauft wird und dadurch Kosten auf die Allgemeinheit übertragen werden.
Nord-Süd-Konflikt um Aufteilung der Strompreiszonen in Deutschland
Vor der Landtagswahl in Niedersachsen im Herbst stritten sich die Energieminister der norddeutschen Länder Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit der bayerischen Staatsregierung. Sie forderten eine Aufteilung der Strompreiszonen, da es für die Menschen im Norden nicht akzeptabel sei, für den Ausbau von Windrädern und Stromnetzen in Bayern zu zahlen. Die bayerischen Politiker kritisierten das als „absurd“ und „unverschämt“.
Andreas Jahn, ein Experte für Energie, erklärt, dass es bei der Aufteilung der Strompreiszonen in Bayern auch Nutznießer geben könnte. Betreiber von Windrädern, Biogasanlagen und Wasserkraftwerken würden mehr Gewinn erzielen, während das Speichern von Strom und die Verschiebung des Verbrauchs sich ebenfalls lohnen würden. Darüber hinaus würde der Strompreis im Süden von Bayern niedriger sein als in Norddeutschland, wenn viele Photovoltaikanlagen zur gleichen Zeit einspeisen.
Jahn geht davon aus, dass sich die Preise in Nord- und Süddeutschland in den meisten Stunden des Jahres nicht unterscheiden werden, da es keine Netzengpässe gibt. Er geht davon aus, dass nur etwa 1.500 Stunden im Jahr eine Preisdifferenz von 10-20% haben werden. In sehr seltenen Fällen könnten die Preise sogar 10-mal so hoch sein. Je mehr Flexibilität und neue Erzeugung oder Leitungen es gibt, desto geringer wird die Preisdifferenz sein.
Den Vorteil sieht Jahn auch darin, dass die Energieerzeugung und der Energieverbrauch regional näher zusammenrücken und der richtige Grad des Netzausbaus bestimmt werden kann. Die Denkfabrik RAP schlägt vor, ein sogenanntes „nodales Preissystem“ einzuführen, das bereits in einigen US-Bundesstaaten und Neuseeland praktiziert wird. Dabei wird jeder Netzknotenpunkt separat über einen lokalen Preis bestimmt. Dadurch wird das Netz effizienter und dezentrale Strukturen werden angeregt. Allerdings könnte ein solches System auch zu Problemen führen, deshalb hat das Bundeswirtschaftsministerium 2018 eine Studie dazu veröffentlicht. (Bericht für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 31.07.2018)
Bundesregierung und Bundestag entscheiden über neue Preiszonen im Strommarkt
Die deutsche Bundesregierung und der Bundestag entscheiden, ob und wie viele neue Preiszonen es für den zukünftigen Strommarkt in Deutschland geben wird. Die Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag vereinbart, ein neues Strommarktdesign auszuarbeiten. Der Prozess dazu hat gerade erst begonnen und das Ergebnis wird sich in Zukunft zeigen.