London zahlt Rekordpreis, um Blackout zu verhindern

In der vergangenen Woche waren Teile Londons einem Stromausfall bemerkenswert nahe. Und das, während sich die Stadt vom heißesten Tag in der britischen Geschichte erholte. Am 20. Juli kollidierte die steigende Stromnachfrage mit einem Engpass im Netz. Dabei stand der östliche Teil der britischen Hauptstadt kurzzeitig ohne Strom da. London zahlte deshalb einen Rekordpreis, um einen Blackout zu verhindern.


Nur durch die Zahlung eines rekordverdächtigen Preises von 9.724,54 Pfund (11.542 Euro) pro Megawattstunde konnte das Vereinigte Königreich verhindern, dass Haushalte und Unternehmen ohne Strom auskommen mussten. Damit lag der Strompreis mehr als 5.000 % über dem üblichen Preis. Nur mit der Berietschaft den Rekordpreis zu bezahlen ließ sich ein Blackout verhindern. Die horrenden Kosten, bewegte Belgien dazu, veraltete Kraftwerke hochzufahren, um Energie über den Ärmelkanal zu schicken (Bloomberg, 25.07.2022)

Stromnetz in Europa spielt verrückt

Die Krise, die sich still und leise im Kontrollraum des britischen Stromnetzes abspielte, zeigt die wachsende Anfälligkeit der Energietransportnetze.

London zahlt Rekordpreis, um Blackout zu verhindern. Energiekrise führt zu immer absurderen Rekorden an der Strombörse
London zahlt Rekordpreis, um Blackout zu verhindern. Energiekrise führt zu immer absurderen Rekorden an der Strombörse

An den meisten Tagen führen die Engpässe zu verzerrten Kosten. Manchmal führt dies zu himmelhohen Preisen, wenn die Energie gerade knapp ist. In anderen Fällen können die Preise auf null sinken oder sogar negativ werden, wenn die Erzeuger ihren Strom nicht mehr verkaufen können. Dies gefährdet in zunehmendem Maße das gesamte System. Wenn man mit den meisten Führungskräften der Branche spricht, bekommt man schnell das Gefühl, dass wir schlafwandelnd in weitere Stromausfälle hineinlaufen. Spricht man mit den Ingenieuren, die das System tagein, tagaus verwalten, so erscheint diese Gefahr noch näher.


Energiekrise führt zu immer absurderen Rekorden an der Strombörse

Der Preis von 9.724,54 Pfund, der am 20. Juli zwischen 12.00 und 13.00 Uhr über die sogenannte NEMO-Verbindungsleitung zwischen dem Vereinigten Königreich und Belgien abgerechnet wurde, war der höchste Preis, den Großbritannien je für Stromimporte gezahlt hat. Er lag dazu fast fünfmal so hoch wie der bisherige Rekord. Die Absurdität dieses Preises wird deutlich, wenn man ihn mit dem bisherigen Jahresdurchschnitt am britischen Spotmarkt vergleicht. Der beträgt gerade 178 £ pro Megawattstunde.

„Es war ein absoluter Schock“, sagt Phil Hewitt, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens EnAppSys Ltd, der seit über zwei Jahrzehnten die Strompreise beobachtet. „Es war der Preis, um das Stromnetz am Laufen zu halten. Die Sicherheit der Versorgung stand auf dem Spiel„.


Die tatsächliche Strommenge, die zum Rekordpreis gekauft wurde, war winzig. Sie reichte aus, um nur acht Häuser ein Jahr lang zu versorgen. Es wurde mehr Strom zu etwas niedrigeren Preisen gekauft. Die Zahlungen verdeutlichen jedoch die Verzweiflung. Der Kauf über den Kanal war für etwa 60 Minuten die einzige Möglichkeit, das System auszugleichen. Hätte Belgien nicht geholfen, wäre das Netz gezwungen gewesen, „eine Nachfragesteuerung vorzunehmen und die Haushalte vom Stromnetz zu trennen“, so ein Experte.

In einer normalen Situation, ohne die Staus im Netz, hätte das Vereinigte Königreich in der Lage sein müssen, Strom aus anderen Teilen des Landes in den Südosten Englands zu schicken. In Schottland, produzieren die Offshore-Windparks mehr Strom denn je. Das Problem ist, dass das Vereinigte Königreich und der Rest der Industrienationen nicht genug in ihre Netze investieren, wodurch das System anfällig ist.

Der Ausbau des Stromnetzes kommt der voranschreitenden Energiewende nicht hinterher

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur investiert die Welt jährlich etwa 300 Milliarden Dollar in die Stromnetze. Ein Betrag, der sich seit 2015 kaum verändert hat. Das ist nicht genug, denn die Weltwirtschaft ist weitgehend elektrifiziert und muss sich nun mit einer veränderten Energieerzeugung auseinandersetzen, bei der intermittierende erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie die bisher zuverlässigen Kohle- und Gaskraftwerke ersetzen.

Jetzt führen Netzengpässe zu perversen Situationen. In Spanien beispielsweise gibt es Zeiten, in denen die Solarstromerzeuger im Süden ihre Anlagen abschalten müssen. Dabei müssen im Norden Gaskraftwerke ans Netz, um die Nachfrage zu decken. In einigen Gegenden der USA sinken die Strompreise oft sogar unter null. Die Kraftwerke müssen aufgrund von Netzbeschränkungen ihre Energie irgendwie loswerden. In anderen Teilen der USA fordern die Versorger die Verbraucher auf, den Strombedarf an Spitzentagen zu reduzieren, oder sie müssen mit Rekordpreisen rechnen.


Die veraltete Infrastruktur, die oft 30 oder 40 Jahre alt ist, muss ersetzt werden. Sanierung und Ausbau stoßen jedoch auf lokalen Widerstand gegen weitere Masten und Freileitungen. Im Vereinigten Königreich umgehen die Behörden den Widerstand der Bevölkerung, indem sie einige Teile des Stromnetzes mithilfe von Unterseekabeln ins Meer verlegen. „Fische gehen nicht wählen“, lautet der Witz der Branche. Das ist jedoch ein teures Unterfangen.

Die hohen Metallpreise machen den Bau neuer Netze noch kostspieliger. Die Kabel bestehen aus Kupfer oder Aluminium, die bei den heutigen Preisen fast ein Drittel der Ausgaben für ein neues Netz ausmachen. Das sind 10 Prozent mehr als bei den Investitionen zwischen 2010 und 2020.

Energieengpässe führen früher oder später zu Stromausfällen und Blackouts ganzer Regionen

In den USA und in Europa müssen Versorgungsunternehmen und Netzbetreiber Milliarden von Dollar in die Digitalisierung des Netzes investieren. Das ist notwendig, um ein nachfrageseitiges Lastmanagement zu ermöglichen, das den Verbrauch zu Spitzenzeiten – häufig über Stundenpreise – reduziert. Die Bewältigung von Nachfragespitzen wird noch wichtiger werden, wenn Millionen von Haushalten auf Elektrofahrzeuge umsteigen. Denn damit wird der Stromverbrauch noch weiter steigen.

Im vergangenen Jahr zahlte das Vereinigte Königreich an einem Tag knapp 1.600 Pfund pro Megawattstunde, um Strom zu importieren und einen Engpass zu vermeiden. Am 18. Juli zahlte es knapp über 2.000 Pfund, was einen neuen Rekord bedeutete. Zwei Tage später stieg der Preis auf fast 10.000 Pfund. Das Muster ist klar. Irgendwann werden auch die höchsten Preise nicht mehr ausreichen. Dann würde ein Stromausfall die Folgen unserer unzureichenden Investitionen mit Verspätung offenbaren.

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