Kollabierender Düngermarkt: Düngerindustrie fordert Staatshilfe

Die komplette europäische Düngemittelindustrie ist durch den Gasmarkt in eine schwere Krise geraten. Die rekordhohen Erdgaspreise machen das Geschäft kaputt. Erste Hersteller kommunizieren, dass sie ab sofort oder alsbald ihre Produktion stoppen müssen. Von den variablen Produktionskosten eines Düngemittelherstellers entfallen 90 % auf das Gas (agrarheute, 29.08.2022).


EU-Hilfe angefordert

Die europäischen Düngerhersteller sind im Verband European Fertilizer Blenders Association organisiert. Dieser fordert jetzt Hilfe von der EU-Kommission an. Er verweist darauf, dass mit Stand Ende August 2022 schon 70 % der europäischen Düngemittelproduktion zurückgefahren wurden. Die einzige Ursache hierfür ist die dramatische Explosion der Gaspreise. Damit steht der Düngermarkt vor dem Kollaps. Auf Twitter meldete ein Verbandssprecher Anfang September, dass man auf eine schnelle Reaktion aus Brüssel warte. Auch die politischen Entscheidungsträger auf nationaler Ebene sollten sich rasch positionieren. Ansonsten sei die Düngemittelkrise nicht mehr abzuwenden. Dies hätte drastische Folgen für die langfristige Ernährungssicherheit in Europa.

Kollabierender Düngermarkt: Düngerindustrie fordert Staatshilfe

Die Kosten für Erdgas liegen in Europa inzwischen um den Faktor 8 bis 10 über denen in den USA. Aus anderen Teilen der Welt kommt sogar noch günstigerer Dünger. Dadurch können die europäischen Hersteller auf dem Weltmarkt inzwischen nicht mehr konkurrieren. Wenn die EU jetzt nicht helfe, dürften europäische Standorte in kürzester Zeit massenhaft Insolvenz anmelden oder ihre Werke für immer schließen. Ohne eigene Düngemittelproduktion würde allerdings die europäische Agrarwirtschaft zusammenbrechen. Die Folgen seien unabsehbar, wie der Verband der Fertilizers Europe in einem Schreiben an die EU-Kommission mitteilt.


Wasserstoffwirtschaft ebenfalls gefährdet

Die Düngemittelhersteller produzieren mit dem Gas vorrangig Ammoniak, der wiederum auch für die Wasserstoffproduktion essenziell ist. Wenn die Industrie künftig auf grünen Wasserstoff setzen möchte, wie es das ausgerufene Ziel ist, benötigt sie die Technologie der Düngemittelwerke. Ammoniak ist nämlich als synthetischer Wasserstoffspeicher ohne Kohlenstoff der ideale grüne Energieträger. Wasserstoff wiederum ist der Brennstoff mit der höchsten massenspezifischen Energiedichte (33,3 kWh/kg), weshalb er als Energie der Zukunft gilt. Er ist allerdings nicht leicht zu speichern.

Die konventionelle Wasserstoffspeicherung setzt vorrangig auf die Verflüssigung oder die gasförmige Speicherung in Druckgasflaschen, beides sehr aufwendige Verfahren. Ammoniak wäre der geeignetere Wasserstoffspeicher, es kann den Wasserstoff binden. Ammoniak-Wasserstoff-Verbindungen sind gleichzeitig ein Energieträger, der direkt in Motoren verbrannt werden kann. Das chemische Verfahren ist seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bekannt. Schon 1872 fuhren in New Orleans Straßenbahnen mit einem Wasserstoff-Ammoniak-Gemisch als Energieträger, in den 1940er Jahren setzte Belgien auf diese Technologie. Der ab 1981 in den USA verkaufte Chevrolet Impala verfügte ebenfalls über so einen Motor.

Aktuell betreibt Siemens ein Projekt der Ammoniak-Wasserstoff-Koppelung in Oxfordshire/England am Rutherford Appleton Laboratory. Das Unternehmen will gemeinsam mit den britischen Partnern die ökonomischen Bedingungen untersuchen, unter denen eine grüne Ammoniak-Wasserstoff-Wirtschaft rentabel wäre. Das war nämlich bislang das Problem aller hier genannten technischen Vorläufer seit dem 19. Jahrhundert: Die Technologie war gegenüber anderen Brennstoffen viel zu teuer. Wahrscheinlich steht sie jedoch im frühen 21. Jahrhundert auch ökonomisch vor ihrem endgültigen Durchbruch. Nur muss dafür die Ammoniakproduktion, die bislang vorrangig der Düngemittelherstellung dient, aufrecht erhalten werden.


Welche Rolle spielt das Erdgas bei der Ammoniakproduktion?

Die Ammoniaksynthese ist eine chemische Reaktion, die ein Gasgemisch von einem Teil Stickstoff und drei Teilen Wasserstoff benötigt. Dieses Synthesegas entsteht aus Methangas (Erdgas), Wasserdampf und Luft. Es gäbe andere technische Wege, jedoch sind diese viel zu teuer. Daher ist Erdgas für die Ammoniak- und damit Düngemittelproduktion essenziell.

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