Die EU hat mit ihrem sechsten Sanktionspaket ein weitreichendes Ölembargo gegen Russland verhängt. Vorläufig betrifft es die Importe, die mit Tankschiffen angeliefert werden, während durch Pipelines noch Öl fließen darf. Vom Embargo gegen den Seeweg scheint nun Indien zu profitieren. Ohnehin hat das Ölembargo das Schlupfloch, die Lieferungen durch Pipelines weiter zuzulassen. Doch jetzt kommt russisches Öl über den Seeweg aus Indien in die EU.
Zwar will Deutschland von dieser Ausnahme nicht profitieren, wie der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Michael Kellner klarstellte. Man wolle komplett auf russisches Öl verzichten, selbst wenn Bundesländer wie Brandenburg davon derzeit noch zu 95 % abhängig sind. Damit hat sich Deutschland aber viel vorgenommen, denn in der eng verflochtenen Weltwirtschaft ist ein kompletter Verzicht kaum möglich. Er bringt möglicherweise auch nicht viel, weil durch die gestiegenen Rohölpreise der russische Staat weiter prächtig verdient.
Ölembargo mit Schlupflöchern
Hinzu kommt jetzt, dass mit Indien ein Akteur auf den Plan getreten ist, der das europäische Embargo unterläuft. Dies ist ein noch gewaltigeres Schlupfloch: Indien kauft das Öl vergleichsweise preiswert bei den Russen ein, die zeitweise durch heimische Überkapazitäten (infolge des EU-Embargos) für asiatische Kunden die Preise senken, raffiniert es zu Benzin und Diesel und verkauft diese Treibstoffe auf dem Weltmarkt. Die Herkunft des Öls wird dabei verschleiert. Ermitteln ließ sich immerhin laut Reuters, dass Indien seit Kriegsbeginn seine Ölimporte aus Russland in etwa verdreifacht hat. Die Einkäufer sind private indische Ölraffinerien, welche die Verarbeitung und den Export der Kraftstoffe auch in die westliche Welt vornehmen.
Mehr indischer Kraftstoff für die Welt
Die weltweiten indischen Kraftstoffexporte sollen nach verschiedenen Untersuchungen in den Monaten seit Kriegsbeginn um ~15 % gestiegen sein, wobei sich die Lieferungen in die Europäische Union wohl sogar um mehr als 30 % erhöht haben, die in die USA sogar um 43 %. Diesen Kraftstoff wiederum verkaufen die Inder sehr teuer, was möglicherweise auch die gestiegenen Kraftstoffpreise an unseren Tankstellen trotz Tankrabatt erklärt. Der Einkauf hingegen ist für die indischen Raffinerien billig, wegen der russischen Rabatte. Das haben US-amerikanische Energieanalysten ermittelt. Die Inder machen also mit dem US-amerikanischen und europäischen Ölembargo ein prächtiges Geschäft, während die Russen an dieser Stelle wenigstens ihr Öl loswerden, wenn auch nicht ganz so teuer wie auf dem westlichen Markt.
Verschleierung der Öltransporte auf dem Seeweg
Wie viele Tanker derzeit auf den Weltmeeren russisches Öl transportieren, lässt sich wohl nur schwer feststellen. Der israelische Datenanbieter für den Seeverkehr Windward teilte unlängst mit, dass die Zahl der Tankschiffe mit russischem Öl steigt, die ihre GPS-Ortung abschalten. Damit ist ihre Route nicht mehr zu verfolgen. Ganz offenkundig dient dies Verschleierung von Öltransporten auf dem Seeweg.
Importierte Inflation aus Indien
Europäische Beobachter – darunter die spanische Tageszeitung El Mundo und Analysten von RBC Capital Markets – berichten von Indien als faktischem Raffineriezentrum für Europa, das sich teuer verkaufe und damit die europäische Inflation anheize. Das liegt an den beschriebenen Preisaufschlägen, aber auch daran, dass Öl auf dem Seeweg automatisch mehr kostet als beim Transport durch Pipelines.
Indien bestreitet die Praxis auch nicht, weist aber jede Kritik daran zurück: Man handle als freier Akteur auf dem Weltmarkt, heißt es aus indischen Regierungskreisen. Den Sanktionen gegen Russland hat sich Indien nicht angeschlossen, das Land hat nicht einmal den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt. Es betont im aktuellen Kontext vielmehr, dass es als Schwellenland ein Recht auf wirtschaftliche Entwicklung habe.
Zweifel an den EU-Sanktionen
Die geschilderte Situation weckt Zweifel an der Wirksamkeit der EU-Sanktionen. Die einzige beobachtbare Wirkung scheinen Preissteigerungen in Europa zu sein, während Russland das Ölembargo wohl nur wenig trifft.