Die Energieunternehmen E.On und Uniper stehen kurz davor, Abkommen über Wasserstofflieferungen aus Ost-Kanada zu unterzeichnen. Sie scheinen dafür jeden Preis zu zahlen. „Es ist eine unüberlegte Idee, die aus Verzweiflung entstanden ist. Nichts sonst“, sagt der Chemie-Ingenieur Paul Martin dazu. Martin war vor über 30 Jahren einer der Ersten, die sich in Nordamerika mit Wasserstoff beschäftigten. Er zweifelt daran, dass Deutschland seine Energieprobleme vernünftig lösen kann, indem es Wasserstoff aus Kanada kauft (wiwo: 21.08.23).
Experten zweifeln: Wasserstoffpläne mit Kanada – kritische Stimmen und ungewisse Zukunft
Paul Martin und Jochen Bard vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik sind Gründungsmitglieder der Hydrogen Science Coalition. Diese Gruppe von Wissenschaftlern und Ingenieuren strebt eine unabhängige Ausrichtung an und verspricht dies inmitten der Begeisterung um Wasserstoff. „Ich habe nichts gegen Wasserstoff. Ich bin gegen Unsinn“, sagt er dazu.
Er findet die Idee nicht effektiv. Zuerst Wasserstoff mit viel Energieaufwand erzeugen, dann in Ammoniak umwandeln, über den Atlantik transportieren, erneut zu Wasserstoff umwandeln und letztlich verbrennen. Das hält er für wenig sinnvoll. „Von zehn erworbenen Kilowattstunden bleiben am Ende nur zwei übrig.“
Der Deal mit EverWind, einem Unternehmen, das Wasserstoff im Hafen von Hawkesbury in der kanadischen Provinz Nova Scotia herstellen will, wird wohl durchgeführt. Um jeden Preis, so scheint es. Eine Sprecherin des vor einem Jahr mit staatlichen Geldern geretteten Energiekonzerns Uniper bestätigte, dass eine Vertragsunterzeichnung kurz bevorsteht: „Wir befinden uns weiterhin in positiven Gesprächen“. Es geht nicht darum, ob, sondern nur um das Wann der verbindlichen Vereinbarung.
Uniper und E.On mit umstrittenem Kanada-Deal
Im August 2022 hatten Uniper und E.On Vorverträge mit EverWind geschlossen, sogenannte Memorandum of Understanding (MoUs). E.On verweist auf vertrauliche Verhandlungen und zeigt sich ebenfalls optimistisch. „Sobald die notwendigen Unterschriften geleistet sind und wir dies bekannt geben können, werden wir dies natürlich mitteilen.“
Zweifel an EverWinds Lieferfähigkeit scheinen die Pläne nicht gestört zu haben. Der importierte Wasserstoff nach Deutschland soll umweltfreundlich sein – komplett aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Doch ein Drittel von Nova Scotias Energie stammt aus Kohle, und nochmals ein Drittel aus Gas, Öl und Petrolkoks. Die Tatsache, dass die Einwohner vor Ort auf den Kohleausstieg warten, während hunderte Windräder für Wasserstoffproduktion in ein fernes Land aufgestellt werden, scheint kein Hindernis zu sein.
Ist es nicht möglich oder will man nicht umkehren, um Kanada in geopolitisch schwierigen Zeiten nicht zu verärgern? Immerhin haben der SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck im letzten August die Wasserstoffpartnerschaft mit Kanada besiegelt. Scholz äußerte damals, dass „Kanada eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von grünem Wasserstoff spielen wird“. Er lobte besonders die Absichtserklärungen zwischen Uniper, E.On und EverWind.
Kanadas Wasserstoffpartnerschaft im Fokus
Die Bundesregierung hegt Energiehoffnungen nicht nur für Kanada. Es gibt viele Partnerschaften für grünen Wasserstoff. Doch auf die mit dem G7-Partner ruhen die höchsten Erwartungen. Gemäß einer Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums passt die Energiekooperation gut zur engen wirtschaftlichen Bindung zwischen Deutschland und Kanada. Kanada pflegt langjährige freundliche Beziehungen zu Deutschland. In Kanada werden sämtliche Entscheidungen, einschließlich der Energiepolitik, demokratisch auf Bundes- und Provinzebene getroffen.
Die demokratisch gewählte kanadische Bundesregierung und die Provinzregierung von Nova Scotia tragen die Verantwortung. Sie müssen die Vor- und Nachteile energiepolitischer Entscheidungen, inklusive Nachhaltigkeitsaspekte, abwägen. Zudem entscheiden sie darüber, ob sie den Unternehmen die Erlaubnis zum Bau von Windparks erteilen oder verweigern. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass solche Entscheidungen in Kanada demokratisch getroffen werden. Aus diesem Grund ist Kanada ein bevorzugter Partner der Bundesregierung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, und deshalb bewerten wir positive Ergebnisse wie das Wasserstoffabkommen.
Paul Martin sieht Wasserstoff als zu kostspielig und wertvoll an, um den enormen Energieverbrauch bei der Umwandlung zu rechtfertigen. Zudem sei Nova Scotia aufgrund seines niedrigen Kapazitätsfaktors für Windenergie ungeeignet für die Elektrolyse zur Aufspaltung von Wasser in seine Bestandteile. Die Anlagen nutzen nur 30 bis 35 Prozent ihrer Kapazität. Im Vergleich dazu bietet Chile das Doppelte. Projekte wie das von EverWind sind nur dank erheblicher staatlicher Subventionen realisierbar. Es gibt großzügige Fördermittel in Kanada, Zuschüsse für Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften, EU-Gelder zur Förderung der Wasserstoffwirtschaft und die Bereitschaft des Bundes, die Preisdifferenz zwischen Wasserstoffkauf und Wirtschaftsabgabe zehn Jahre lang auszugleichen. Diese Möglichkeiten minimieren das finanzielle Engagement der 2022 gegründeten Tochterfirma eines in New York registrierten Konzerns.
Kritische Fragen zur Dekarbonisierung: Ungewisse Zukunft von EverWinds Windparkprojekten in Nova Scotia
Der Beweis, dass die Einwohner von Nova Scotia von der Dekarbonisierung ihrer Provinz profitieren, steht noch aus. EverWind-Gründer und Private-Equity-Manager Trent Vichie, kanadische Politiker und auch das Bundeswirtschaftsministerium betonen dies zwar. Aber seit EverWind im Mai erstmals Landkarten mit eigenen Windpark-Arealen präsentierte, wurden keine Leasing-Verträge für die doppelt so große Fläche wie Frankfurt am Main unterzeichnet. Das Unternehmen hat auch keine Anträge für verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfungen in Kanada gestellt.
Im Juli kündigte EverWind den Kauf und die Entwicklung von drei geplanten Windparkprojekten an. Bis jetzt liegen für diese Projekte keine Anträge für Umweltverträglichkeitsprüfungen vor. Die Zeit drängt: Eine Präsentation von EverWind im Juni für E.On und Uniper deutet darauf hin, dass die Genehmigungen bis spätestens November erteilt werden. Laut dieser Präsentation sollen sie bis 2025 Strom liefern.
Ursprünglich wollte der Energieversorger Nova Scotia Power (NSP) zwei der Projekte umsetzen. Bis 2030 muss das privatisierte Unternehmen laut Gesetz aus der Kohle aussteigen und 80 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen. Doch im Frühjahr wurde der Provinzregierung eine Strafe von 6,9 Millionen Euro auferlegt, da das Etappenziel von 40 Prozent nicht erreicht wurde.
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