Umweltschützer wollen die neue EU-Taxonomie, die Gas und Atomkraft als umweltfreundliche Energieträger kennzeichnet, nicht hinnehmen. Sie drohen an, mit juristischen Schritten dagegen vorzugehen (Tagesschau, 19.09.2022).
Ultimatum von Umweltverbänden
Die EU-Kommission hat in ihrer jüngsten Taxonomieverordnung geregelt, dass die Investition in Atomkraftwerke und die Gasinfrastruktur als klimafreundlich klassifiziert wird. Das haben Umweltschützer von Anfang an scharf kritisiert. Nun setzen sie der EU-Kommission ein Ultimatum, das sie gleich mit einer Klagedrohung verknüpfen. Demnach wollen mehrere Umweltorganisationen gegen die neuen EU-Regeln klagen, wenn die EU-Kommission sie nicht zurücknimmt. Dazu gehören Greenpeace, der WWF und der BUND. Sie fordern die EU-Kommission zur Aufhebung der neuen Regelung auf.
Die Taxonomie ist für Banken und große Fondsgesellschaften wichtig, die damit etwa Anlegern versprechen können, dass diese ihr Geld klimafreundlich und nachhaltig in umweltfreundliche Technologien stecken, wenn ein entsprechender Fonds auch in Gaskraftwerke, Gaspipelines und Atomkraftwerke investiert. Auf das Ultimatum soll die Brüsseler Behörde bis Februar 2023 reagieren. Wenn sich an der Taxonomie nichts ändert, wollen die Umweltverbände dagegen vor dem EuGH Klage einreichen.
Seit wann gibt es die neue EU-Taxonomie?
Eine Taxonomie für die Bewertung von Investitionen als nachhaltig und klimafreundlich oder im Gegenteil umweltschädlich gibt es schon sehr lange. Sie wird immer wieder an die Möglichkeiten neuer Technologien und neue wissenschaftliche Bewertungen angepasst. Auch der Bedarf an Energie und Rohstoffen spielt bei dieser Bewertung eine Rolle. Vor dem Hintergrund der aktuellen europäischen Energiekrise, deren Vorboten schon Anfang 2022 heraufzogen, hat die EU-Kommission die aktuelle Taxonomieverordnung im Februar 2022 dahingehend geändert, dass künftig auch Atomstrom und Energie aus Gas als nachhaltig bewertet werden.
Die neue Verordnung billigte im Juli 2022 auch das EU-Parlament, was von vielen Europäer*innen kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen wurde. Wenn sich an der neuen Taxonomie nichts ändert, gelten ab Januar 2023 auch die Atomkraft und Gas als klimafreundlich, wobei bestimmte Bedingungen einzuhalten wären. Beide Energieträger sind freilich umstritten, denn die Gasverbrennung erzeugt klimaschädliches Kohlendioxid, für den Atommüll gibt es noch kein Konzept der sicheren Endlagerung.
Worauf stützt sich die Klage der Umweltorganisationen?
Einfach gegen eine EU-Verordnung Klage einreichen ist nicht sinnvoll, wenn es nicht substanzielle Gründe hierfür gibt. Diese wollen die Umweltschützer ausgemacht haben: Sie vermuten bei der neuen Taxonomie einen Verstoß gegen geltendes EU-Recht. Dabei sind drei Punkte entscheidend:
- Nach Auffassung der Umweltschützer verstößt die neue Taxonomie gegen bestehende europäischen Klimagesetze.
- Sie widerspricht auch den grundsätzlichen Prinzipien der Taxonomie.
- Das Pariser Klimaabkommen, in welchem sich die Staaten verpflichtet haben, den Temperaturanstieg auf 1,5° zu begrenzen, wäre mit Gaskraftwerken in ganz Europa nicht zu erreichen.
Der Vorstandssprecher von Greenpeace in Deutschland Martin Kaiser sagte dazu, dass die EU mit der neuen Taxonomie diejenigen Umwelt- und Klimaziele verrate, die sie einst selbst ausgerufen hatte. Greenpeace hat daher zwei Gutachten zur neuen Taxonomie in Auftrag gegeben. Eines kommt von Aurora Energy Research und befasst sich mit dem Gas. Es zeigt auf, dass sich Europa an das Gas mit der neuen Taxonomie langfristig binden und damit die Pariser Klimaziele unterlaufen würde.
Die zweite Studie stammt von der Physikerin Oda Becker und belegt, dass auch neue Atomkraftwerke nicht zum Klimaschutz beitragen und daher keine Übergangstechnologie sind. Dabei geht es nicht nur um das ungelöste Endlagerproblem, sondern auch um das Aufheizen von Flüssen, die in Nachbarschaft der Atomkraftwerke deren Reaktoren kühlen sollen. Das stößt bisweilen an Grenzen, was unter anderem ein Grund für Frankreich war, im Sommer 2022 etliche seiner AKWs vom Netz zu nehmen.
Kampf gegen Greenwashing
Vertreter von WWF, BUND und noch zwei Organisationen bezeichneten die neue Taxonomie als Greenwashing, das in vielfacher Hinsicht schädlich sei. So treibe die Gasindustrie aktuell auch die europäische Inflation, was ein zusätzlicher Grund sei, sie in Zukunft auslaufen zu lassen und nicht noch taxonomisch zu fördern. Dieses Greenwashing müsse unverzüglich gestoppt werden. Es gelte, die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie nicht zu untergraben, wie ein WWF-Sprecher in Berlin mitteilte. Eine Klage vor dem EuGH wurde schon eingereicht:
Der eher kleine deutsche Umweltverband Robin Wood übermittelte sie am 16. September dem höchsten europäischen Gericht. Es handelt sich um eine sogenannte Nichtigkeitsklage, die sich gegen die klimafreundliche Einstufung etlicher Forstwirtschaftprojekte und insgesamt der Bioenergie richtet. Robin Wood geht es um die Waldzerstörung und um CO₂-Emissionen. Die Sprecherin von Robin Wood Jana Ballenthien forderte die EU-Kommission auf, sämtliche finanziellen Anreize für ein industrielles Verheizen von Wäldern einzustellen. Auch traten Vertreter mehrerer Umweltschutzorganisationen aus der Beratungsplattform aus, die gemeinsam mit der EU-Kommission die neue Taxonomie ausgearbeitet hatte.