Die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen setzt einen zentralen Hebel an, der die explodierenden Energiepreise wieder herunterfahren soll: Sie will die Staaten der Union zum Stromsparen zwingen. Von diesen wehren sich nicht wenige gegen das Vorhaben. Verpflichtende Einsparziele nach Brüsseler Vorgaben gelten als extrem unbeliebt, haben aber auch Befürworter – unter anderem den deutschen Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) (WELT, 14.09.2022).
Robert Habeck als Verfechter der europäischen Solidarität
Vor dem Notfallgipfel der EU-Energieminister lobte Habeck überschwänglich die neue „Solidarität in Europa“: Er meinte die gemeinsamen Anstrengungen beim Gassparen, die vor allem Deutschland bitter nötig hat. Auf dem Notfallgipfel ging es dann um die hohen Strompreise, unter denen Verbraucher weltweit leiden, wobei in Deutschland düstere Szenarien drohen. Kein Land der EU hat sich so abhängig von russischer Energie gemacht wie Deutschland, weshalb uns der russische Gasstopp besonders hart trifft. Deutschland ist damit dringender als andere Staaten auf die innereuropäische Solidarität angewiesen.
Ausbleibende Gaslieferungen und Energiepreise auf Rekordniveau drohen unsere Industrie abzuwürgen, was sich an ersten Insolvenzen ablesen lässt. Umso dankbarer ist Habeck für die Unterstützung durch Ursula von der Leyen. Diese ist fest entschlossen, die Preisexplosion bei der Energie zu bekämpfen. Als entscheidende Maßnahme hat sie dafür das Strom- und Gassparen ausgemacht. Schon vor dem Energiegipfel hatte von der Leyen darauf verwiesen, dass die Verknappung von Energie im Prinzip die ganze Welt betrifft. Daher sei das Gebot der Stunde, um jeden Preis zu sparen, unabhängig von sonstigen Maßnahmen, die hinzukämen. Unterstützung erhält sie von Fachleuten.
Der Energieexperte Simone Tagliapietra vom Brüsseler Thinktank Bruegel stimmt der Kommissionspräsidentin voll inhaltlich zu. Er gesteht ebenfalls Sparmaßnahmen die oberste Priorität zu. Gleichzeitig verweist er darauf, dass Stromsparen leichter als Gassparen sei und daher hierauf der Fokus liegen müsse. Deutschland mit seiner wackeligen Versorgung ist wiederum ganz besonders darauf angewiesen, dass andere EU-Länder ebenfalls Strom sparen.
Uneinigkeit in der EU über den Weg zum Stromsparen
Auf dem Energienotgipfel am 9. September stellte sich nun heraus, dass die europäischen Energieminister prinzipiellen Sparmaßnahmen zwar einheitlich zustimmen, jedoch entsprechende verbindliche Einsparziele der EU-Kommission größtenteils ablehnen. Die EU-Energiekommissarin Kadri Simson sagte in der abschließenden Pressekonferenz, sie glaube an exakte Zielvorgaben bei den Energieeinsparungen.
Der tschechische Energieminister Jozef Síkela sprach hingegen von freiwilligen Zielen jedes einzelnen Landes. Tschechien hat momentan die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne und koordiniert die Länderberatungen. Der Plan verpflichtender Einsparziele dürfte auch nicht leicht durchzusetzen sein, denn traditionell geben die Mitgliedstaaten an die EU-Kommission nur höchst ungern Kompetenzen ab, die ihr eigenes Regierungshandeln beschränken. Beim heiklen Thema der Energieversorgung gilt dies ganz besonders. Einige Abweichler sind schon sicher ausgemacht: Bulgarien, Ungarn, Tschechien, Griechenland und Polen wollen auf jeden Fall höchstens freiwillig beim Strom sparen, wie das zuvor beim Gas vereinbart worden war.
Die Gaseinsparungen bleiben so lange freiwillig, wie nicht mindestens drei Mitgliedstaaten wegen Gasmangels den nationalen Notstand ausrufen. Sie können dann gemeinsam die EU-Kommission darum bitten, den Unionsalarm auszulösen. Dann gäbe es auch verpflichtende Gassparziele für alle Mitgliedsstaaten.
Verpflichtende Einsparziele der EU-Kommission
Ursula von der Leyen hält indes die Situation auf dem Strommarkt für so bedenklich, dass sie eine verbindliche Pflicht zum Stromsparen mit festen Zielgrößen durchsetzen will. Von den Bedenken einiger europäischer Energieminister lässt sie sich nicht beirren. In Brüssel kursiert bereits ein aktueller Gesetzesentwurf, der die Unionsstaaten zum Sparen verpflichten soll. So sollen sie in Spitzenzeiten ihren Stromverbrauch um definierte Prozentsätze absenken, die noch nicht exakt bestimmt sind, über die es aber Gerüchte gibt. So wurden Entwürfe mit der Vorgabe von 5 % bekannt.
Umsetzen sollen die Staaten dieses verpflichtende Ziel, indem sie bis zu vier Stunden jedes Wochentags auswählen, in denen der Verbrauch deutlich gesenkt wird – am besten die vier Stunden mit dem höchsten Verbrauch. Alternativ könnten es die vier Stunden sein, in denen die erneuerbaren Energien den wenigsten Strom liefern, also beispielsweise nachts. Wenn es wirklich zu diesen Zeiten ein verpflichtendes Einsparziel gibt, müssten die Staaten notfalls mit rollierenden Abschaltungen einige große und/oder sehr viele kleine Verbraucher vom Netz nehmen.
14. September: Preisdeckel für Strom, aber kein konkretes Sparziel
Am heutigen 14. September 2022 hielt von der Leyen ihre mit Spannung erwartete Rede zur Lage der Union. Sie kündigte einen Preisdeckel für Strom an, äußerte sich aber nicht konkret zu einem Sparzwang. Das Gesetz hierzu könnte noch in der Pipeline stecken.