Das grüne Wirtschaftswunder bleibt aus – Deutschland verliert Wettbewerbsfähigkeit

Bundeskanzler Olaf Scholz hat einen wirtschaftlichen Aufschwung durch den Ausbau erneuerbarer Energien versprochen. Er sprach gar von einem neuen Wirtschaftswunder, den die grüne Technologie in Deutschland auslösen würde. Allerdings fließen die wirtschaftlichen Vorteile bisher hauptsächlich ins Ausland und auch die versprochenen Arbeitsplätze entstehen eher dort (welt: 31.07.23).


Deutschlands verlorener Vorsprung: Der schwierige Weg zur grünen Energieführerschaft

In Cuxhaven, an der Kai-Kante, stehen im norddeutschen Nieselregen acht Turbinen ohne Flügel für Windräder. Sie sind so hoch wie ein dreistöckiges Gebäude. Diese Elf-Megawatt-Turbinen von Siemens Gamesa warten darauf, auf See transportiert zu werden. Sie sind für Offshore-Windparks in Deutschland, den Niederlanden und Amerika bestimmt. Sie sind ein Paradebeispiel für deutsche Ingenieurskunst und symbolisieren die Exportmöglichkeiten durch die Technologie der Energiewende „made in Germany“.

Wunschdenken und Wirklichkeit: Warum ein grünes Wirtschaftswunder in Deutschlands ausbleibt. Energiewende stärkt ausländische Industrien
Wunschdenken und Wirklichkeit: Warum ein grünes Wirtschaftswunder in Deutschlands ausbleibt. Energiewende stärkt ausländische Industrien

Jedoch, wenn man die 320 Meter lange Montagehalle durchquert, entdeckt man überall offene Kisten mit Metallteilen aus weit entfernten Ländern. Auf einigen Kisten steht „Anhui Genhao Machinery“, auf anderen „Shenzhen“. Eine 500 Tonnen schwere Offshore-Turbine „made in Germany“ besteht aus 30.000 Teilen – doch viele davon stammen scheinbar aus dem Fernen Osten.

War Deutschland nicht als Vorreiter in der grünen Energietechnologie gedacht? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) prophezeite im Frühjahr einen Wirtschaftsaufschwung, ähnlich wie in den 1950er- und 1960er-Jahren. Er glaubte, Deutschland könne durch hohe Wachstumsraten eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnehmen. Aber die Realität sieht anders aus: Deutschland verliert an Fahrt. Während fast der Rest der Welt wächst, prognostiziert der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Rückgang der deutschen Wirtschaft für dieses Jahr. Er hat seine bisherige schlechte Prognose sogar noch weiter nach unten gesenkt.


Deutschlands Energiewende: Importiert statt Eigenproduktion

Im zweiten Quartal gab es kaum wirtschaftliches Wachstum. Selbst Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fand diese Nachricht nicht erfreulich: Stagnation ist nicht genug, das ist „alles andere als zufriedenstellend“.

Die Planer der deutschen Energiewende beziehen die meisten Rohstoffe und Anlagen hauptsächlich aus dem Ausland. Die Spezialmagnete, die in den Windrädern in Cuxhaven Strom erzeugen, kommen alle aus China. Die riesigen Rotorblätter, die an den Windradnaben angebracht sind, kommen aus Hull in Großbritannien oder aus Aalborg in Dänemark.

Der Energiegigant RWE, der vier Windparks im sogenannten Nordseecluster errichten möchte, hat nicht bei den deutschen Spezialstahlexperten Dillinger Hütte oder EEW Group aus Erndtebrück die Fundamente bestellt. Diese sind für die Verankerung der Türme im Meeresgrund notwendig. Stattdessen hat RWE sich für einen chinesischen Wettbewerber entschieden.

Eigentümer Xin Jin von Dajin zeigt sich erfreut und fühlt sich geehrt, als Lieferant anerkannt zu sein: „Dies ist der nächste sehr wichtige Meilenstein für Dajin auf dem Weg zu einem weltweit führenden Anbieter von Offshore-Fundamenten.“

Milliardenmarkt Energiewende: Gewaltige Potenziale, doch Deutschland profitiert kaum

Trotzdem ist das wirtschaftliche Potenzial der Energiewende enorm, wie ein Überblick von Siemens Energy zeigt. Laut Siemens Energy benötigt Deutschland für den Aufbau von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungen (HGÜ) auf dem Land und auf See zunächst 3800 Offshore-Windturbinen, dann 2100 Konvertertürme und 15,6 Millionen Tonnen Stahl.

Das entspricht genug Stahl für 2600 Eiffeltürme. Eine Million Tonnen Kupfer, das reicht für den Bau von 19 Millionen Elektroautos, und 700.000 Computerchips (Halbleiter) müssen auch besorgt werden.

Aber nur ein kleiner Teil davon stammt aus Deutschland und schafft hier Wert und Arbeitsplätze. Ein extremes Beispiel dafür ist die Bestellung von Konverterstationen für Offshore-Windparks durch den Netzbetreiber Tennet. Mit einem Volumen von 40 Milliarden Euro war dies der größte Einzelauftrag in der Geschichte der europäischen Energiewende.

Die Zwei-Gigawatt-Konverter sind Stahlplattformen so groß wie ein Fußballfeld und so hoch wie ein zehnstöckiges Gebäude, vollgepackt mit Elektrotechnik. Jede Anlage kostet zwei Milliarden Euro. 14 solcher Anlagen hat Tennet gekauft – aber nicht in Deutschland, sondern im Ausland.


Verpasste Chancen: Deutsche Energiewende stärkt ausländische Industrien, während heimische Unternehmen leiden

Der Bau solcher Einrichtungen galt einst als große Chance für die deutsche Schiffbauindustrie. Doch die Schiffbauer gingen leer aus. Obwohl Siemens Energy an drei der Konverter beteiligt ist, entstehen die Plattformen im spanischen Cádiz. Die restlichen Offshore-Umspannwerke werden in Werften in Indonesien und China zusammengeschweißt.

Statt diese riesigen Strukturen an deutschen Küstenstandorten zu bauen, werden sie jetzt Tausende von Kilometern über alle Weltmeere in die Nordsee transportiert. Der Grund: In Deutschland gibt es nur einen Hafen, der genug Platz bietet: Rostock-Warnemünde. Aber dieser wurde von der Bundeswehr für ihr Marinearsenal in Anspruch genommen.

Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen: Anstatt eines Wirtschaftswunders gibt es fast täglich schlechte Nachrichten aus den Wertschöpfungsketten der Energiewende: So muss SGL Carbon seinen Geschäftsbereich für Kohlenstofffasern teilweise abschreiben.

Eigentlich sollen diese Kohlenstofffasern die Rotorblätter großer Windräder stabilisieren. Aber die Nachfrage ist gesunken und wird dieses Jahr wahrscheinlich nicht mehr signifikant steigen. Die Lager sind voll, eine Kapazitätserweiterung ist nicht in Sicht. Bei SGL blickt man in die Zukunft – nicht nur wegen der Windräder, sondern auch weil das Material für den Bau von Wasserstofftanks nützlich sein könnte. Wann könnte das sein? Das ist ungewiss.

Sonnenuntergang für Deutschlands Solarindustrie: Milliardeninvestition wandert in die USA

Auch in der Solarindustrie läuft es nicht rund. Meyer Burger, der letzte europäische Hersteller von Solarzellen, entschied sich diese Woche gegen Deutschland als Standort. Noch vor einem Jahr reiste Habeck extra zur Fabrik in Bitterfeld, um die Technologie zu preisen. Damit könne man den chinesischen Herstellern Paroli bieten.

Aber nun errichtet Meyer Burger sein neues Werk für Solarzellen in den USA. Mehr als 1,4 Milliarden Dollar an Subventionen waren einfach zu verlockend. Zwar gibt es auch in Europa Pläne für Förderprogramme. Aber für die Entscheidung der Schweizer ist das zu spät.

350 neue Arbeitsplätze werden nicht in Sachsen, sondern in Colorado Springs geschaffen. Kein Wunder, dass die Anzahl der Arbeitsplätze durch erneuerbare Energien in Deutschland auf dem Stand von vor zehn Jahren feststeckt.

Jetzt kommt auch noch die Konkurrenz aus den USA mit ihren Milliardensubventionen hinzu. Einige deutsche Zulieferer ziehen sich bereits aus dem Solargeschäft zurück. Wacker Chemie, das in Bayern und Sachsen Silizium für die Branche herstellt, hat Schwierigkeiten.


Wunschdenken und Wirklichkeit: Warum ein grünes Wirtschaftswunder in Deutschlands ausbleibt

„Die Preise für Solarsilizium schwanken stark und es gibt auch hohe Überkapazitäten, vor allem in China“, erklärt ein Vertreter. Daher konzentriert sich Wacker Chemie mehr auf Silizium für Halbleiter, wo die Preise höher und stabiler sind, um weniger von der Solarindustrie abhängig zu sein. „Aktuell haben wir keine festen Pläne, die Produktion von Silizium für die Solarindustrie auszuweiten“, betont der Vertreter.

„Dafür müssten in Deutschland drei Bedingungen erfüllt sein: Die Energiepreise müssten wieder international wettbewerbsfähig sein, wir bräuchten genug Käufer auch außerhalb von China, etwa in Europa oder den USA, und wir bräuchten in gewissem Maße auch staatliche Förderung, um das Risiko dieser hohen Investitionen tragen zu können.“ Das klingt nicht nach einem bevorstehenden Wirtschaftswunder. Es reicht eben nicht hinzustehen und ein Wirtschaftswunder zu verkünden, das ist reines Wunschdenken. Die Politik muss auch die entsprechenden Weichen dazu stellen. Doch genau daran fehlt es und es ist auch nicht erkennbar, dass in absehbarer Zeit entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

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