Deutschlands Kraftwerksstrategie gerät aus dem Gleichgewicht. Der dringend nötige Ausbau von Gaskraftwerken stockt, während immer mehr Kohlekraftwerke mangels Personal ausfallen. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche verspricht mehr Tempo, doch konkrete Fortschritte fehlen. Die Sicherheit der Stromversorgung in Dunkelflauten bleibt gefährdet (welt: 29.06.25).
Kraftwerksstrategie auf dem Prüfstand
Beim BDEW-Jahreskongress kündigte Reiche Ausschreibungen „Ende des Jahres“ an. Doch in der Branche herrscht Frust. Schon lange gilt als sicher, dass mindestens 21 Gigawatt steuerbare Kraftwerksleistung erforderlich sind, um Engpässe bei Windflauten auszugleichen.

Bisher galten Kohlekraftwerke als Notlösung, falls der Umstieg auf Gaskraft stockt. Doch diese Rückversicherung wird brüchig. Betreiber schließen Anlagen, obwohl sie als systemrelevant gelten – nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern wegen fehlendem Personal.
Milliardenbedarf, aber keine Investoren
Rund 26 neue Gaskraftwerke müssten gebaut werden, jedes mit 800 Megawatt Leistung. Die Kosten pro Anlage liegen bei etwa einer Milliarde Euro. Ohne staatliche Zuschüsse wagt niemand den Einstieg – zu ungewiss bleibt die künftige Rentabilität.
Die EU-Kommission lehnt Subventionen für fossile Kraftwerke ab. Habecks Versuch, Gaskraftwerke als Klimaschutzprojekte auszugeben, stieß in Brüssel auf Ablehnung. Deshalb schrumpfte die Kraftwerksstrategie auf 12,5 Gigawatt zusammen.
Schnellboot statt Energiekonzept
Reiche will nun ein „Schnellboot“ mit fünf bis zehn Gigawatt genehmigen lassen. Doch selbst wenn Brüssel zustimmt, zieht sich der Förderprozess über Monate. Bei Bauzeiten von vier bis sechs Jahren ist ein rechtzeitiger Betrieb illusorisch.
Ohne neue Gaskraftwerke bleibt nur die Verlängerung des Kohleeinsatzes. Doch auch diese Reserve steht auf wackligen Beinen. Der Fachkräftemangel hat den Betrieb vieler Kohlekraftwerke bereits zum Erliegen gebracht.
Kohlekraftwerke fehlen Personal
Die Bundesnetzagentur meldete zuletzt vier systemrelevante Anlagen, die nicht mehr einsatzfähig sind. Der Grund liegt im drastischen Personalschwund. Über Jahre stellten Betreiber kaum neue Fachkräfte ein, weil das Ausstiegsdatum 2030 feststand.
Viele Beschäftigte entschieden sich für die Frühverrentung mit 80 % des Nettogehalts ab 58 Jahren. Gleichzeitig bleibt der Nachwuchs aus. Kaum jemand will in einem Beruf arbeiten, dessen Ende politisch beschlossen wurde. Die unklare Zukunft dieser Anlagen macht gezielte Personalgewinnung fast unmöglich.
Kraftwerksstrategie scheitert an der Realität
Der Rückbau dieser Anlagen ist verboten. Die Bundesnetzagentur hält 26 Blöcke mit zehn Gigawatt in der Netzreserve. Ein Großteil dieser Kapazität bleibt jedoch ungenutzt, weil das Betriebspersonal fehlt. Betreiber wie Steag investieren nun Millionen in Instandsetzung und Personalsuche – ein Prozess, der mehrere Jahre beansprucht.
Die Behörde pocht dennoch auf Verfügbarkeit. Ausfälle aufgrund von Personalmangel sollen nicht länger akzeptiert werden. Stattdessen fordert sie frühzeitige Qualifizierung und gezielte Rekrutierung – doch Bewerber bleiben rar.
Verbraucher tragen die Kosten
Die Sanierung alter Kohlekraftwerke verursacht hohe Betriebskosten, die über die Netzentgelte an die Stromkunden weitergereicht werden. Gewerkschaften warnen vor Überforderung: „Die Belastung hat Grenzen.“ Während die Kraftwerksstrategie ins Leere läuft, wächst das Risiko eines ungeschützten Stromsystems.
Ohne verlässliche Reservekraftwerke drohen Dunkelflauten zur echten Bedrohung zu werden. Deutschlands Kraftwerksstrategie basiert derzeit auf Annahmen, die weder politisch noch praktisch tragfähig sind.
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