Bahn stoppt verspätete Züge gezielt, um Statistik zu schönen

Interne Dokumente und Chatprotokolle enthüllen eine fragwürdige Praxis bei der Deutschen Bahn. Nach Recherchen des Spiegel enden verspätete Züge im Fernverkehr vorzeitig oder fallen komplett aus. Ein Zugausfall taucht nicht in der Statistik auf, da dort nur tatsächlich durchgeführte Fahrten berücksichtigt werden. Dadurch verbessert sich die Pünktlichkeitsquote auf dem Papier, während Reisende mit realen einer Verspätung und Umwegen konfrontiert sind.


Wie die Statistik geschönt wirkt

Die offizielle Statistik der Bahn zählt ausschließlich Züge, die planmäßig mit Fahrgästen am Ziel ankommen. Endet ein Zug unterwegs oder kommt gar nicht erst zum Einsatz, gilt das nicht als Verspätung. So verbessert sich die Pünktlichkeitsquote rechnerisch, obwohl Reisende im Fernverkehr unter einem Zugausfall und erheblichen Verzögerungen leiden. Besonders betroffen sind Knotenpunkte wie Köln, wo verspätete Fernzüge gezielt aus dem Verkehr genommen werden.

Deutsche Bahn stoppt verspätete Züge gezielt, damit sie nicht in die Statistik für Verspätungen einfließen. Reisende sind die Leidtragenden
Deutsche Bahn stoppt verspätete Züge gezielt, damit sie nicht in die Statistik für Verspätungen einfließen. Reisende sind die Leidtragenden

Am 16. September traf es den ICE 616 von München nach Hamburg. Offiziell lautete die Begründung „kurzfristiger Personalausfall“. Interne Nachrichten aus der Verkehrsleitzentrale zeigen jedoch eine andere Sicht: „Zug fällt zur Verbesserung der Statistik ab Köln aus.“ Der Fernzug fuhr anschließend ohne Reisende nach Hamburg, um dort rechtzeitig für den nächsten Umlauf bereitzustehen.

Weitere Fälle im Fernverkehr

Schon am 11. September soll ein ICE mit deutlicher Verspätung ebenfalls in Köln gestrichen worden sein. Reisende mussten in andere Züge umsteigen, während der ausgefallene Zug nicht in die Statistik einging. Für den Konzern bringt diese Vorgehensweise kurzfristig bessere Kennzahlen, für die Fahrgäste jedoch zusätzliche Belastungen.

Die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr lag 2024 laut offizieller Bahnstatistik bei 62,5 Prozent. Mehr als jeder dritte Zug kam zu spät ans Ziel. Zugausfälle fehlen in der Berechnung, sodass die Statistik ein geschöntes Bild vermittelt.


Reaktion und Kritik

Der Konzern weist Vorwürfe zurück und spricht von betrieblichen Entscheidungen. Man betont, dass ein vorzeitiger Zugausfall sinnvoll sein könne, wenn dadurch Folgezüge pünktlich starten. Voraussetzung seien alternative Verbindungen, die für Reisende zur Verfügung stehen. In beiden dokumentierten Fällen habe es diese Optionen gegeben.

Kritiker halten dagegen, dass Reisende kaum profitieren. Wer eine direkte Fahrt bucht, erwartet eine durchgehende Verbindung, nicht einen erzwungenen Umstieg. Die Diskrepanz zwischen offizieller Statistik und erlebter Realität untergräbt das Vertrauen. Für viele Kunden zählt nicht die Pünktlichkeitsquote, sondern die tatsächliche Ankunft am Ziel.

Folgen für Glaubwürdigkeit

Die Beispiele zeigen, wie stark sich Statistik und Alltagserfahrung unterscheiden. Für die Bahn entsteht ein Vorteil, weil die Quote besser aussieht. Für Reisende bedeutet das allerdings längere Wartezeiten, verpasste Anschlüsse und Unzufriedenheit. Solche Zugausfälle verdeutlichen, dass kosmetische Lösungen die Probleme im Fernverkehr nicht lösen.

Langfristig droht der Konzern Vertrauen zu verspielen. Statt geschönter Statistik braucht es echte Investitionen in Infrastruktur, Personal und Betriebsstabilität. Nur so lässt sich die Pünktlichkeitsquote tatsächlich verbessern – nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag der Kunden.

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