Das niedersächsische Unternehmen Advanced Nuclear Fuels plant die Produktion von Brennelementen nach russischem Standard. Seit 27 Monaten wartet das Unternehmen auf die Genehmigung durch den grünen Umweltminister. Ein aktuelles Gutachten hat nun für Aufsehen gesorgt.
Das niedersächsische Umweltministerium darf die Lizenzfertigung von russischen Brennelementen in der Uranfabrik in Lingen nicht nach eigenem Ermessen verbieten. Der Rückgriff auf das sogenannte „Versagungsermessen“ wäre verfassungswidrig, wie ein Gutachten des Kieler Verwaltungsrechtsexperten Wolfgang Ewer feststellt. Dieses Gutachten wurde von Advanced Nuclear Fuels in Auftrag gegeben und liegt der WELT AM SONNTAG vor. (Welt, 29.06.2024)
Verfassungsrechtliche Bedenken
Wolfgang Ewer widerspricht in seiner Analyse der Meinung des Atomrechtsexperten Gerhard Roller. Roller argumentierte im Auftrag des Bundesumweltministeriums. Er meinte, die Behörden könnten die Erweiterung der Atomanlage in Lingen durch eine Ermessensentscheidung untersagen.
Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer sieht weiterhin Prüfbedarf und beruft sich auf Rollers Rechtsauffassung. Meyer erklärte gegenüber der WELT AM SONNTAG, dass die enge Kooperation mit Rosatom eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit in Europa darstelle. Das Roller-Gutachten sei daher ein bedeutender Gegenstand im laufenden Genehmigungsverfahren.
Ewer weist jedoch darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht ein „Versagungsermessen“ zuletzt 1978 nur zugelassen hatte. Damals war Atomkraft noch „Neuland“. Heute sei die friedliche Nutzung der Kernenergie kein „Neuland“ mehr. Die Annahme, das Gesetz würde den Behörden noch Ermessen über die Erteilung oder Versagung einer atomrechtlichen Genehmigung einräumen, sei verfassungswidrig.
Sicherheitsfragen und internationale Kooperationen
Advanced Nuclear Fuels, ein Tochterunternehmen des französischen Nuklearkonzerns Framatome, plant die Produktion von russischen Brennelementen in Lingen, um den Direktimport aus Russland zu vermeiden. In fünf EU-Staaten sind noch 19 Atomkraftwerke russischen Typs in Betrieb, die auf spezielle, sechseckige Brennelemente angewiesen sind. Rosatom hat sich zur Lizenzvergabe bereit erklärt.
Die Herstellungslizenzen im Westen werden von „European Hexagonal Fuels“, einem Gemeinschaftsunternehmen von Framatome (75 Prozent) und Rosatom (25 Prozent), verwaltet. Der geplante Aufbau der neuen Fertigungslinie in Lingen führte zu Protesten von Atomkraftgegnern, basierend auf der Annahme, dass Rosatom-Mitarbeiter Zugang zur Uranfabrik haben könnten.
Dies ist nicht der Fall. Andreas Hoff, Standortleiter in Lingen, betonte gegenüber der WELT AM SONNTAG, dass kein Rosatom-Mitarbeiter Zutritt zum Betriebsgelände benötigt. Das Ewer-Gutachten bestätigt, dass alle angenommenen Risikoszenarien bezüglich Manipulation oder Spionage entfallen, da Rosatom-Personal keinen Zugang erhält. Die Verlagerung der Produktion nach Lingen bewirke kein neues Risikoszenario, sondern verbessere die Sicherheitslage.
Zukunftsperspektiven und politische Implikationen
Das Thema bleibt weiterhin brisant und politisch aufgeladen. Während einige die Lizenzfertigung in Lingen als Chance sehen, die Abhängigkeit von russischen Brennstoffimporten zu reduzieren, betrachten andere die Kooperation mit Rosatom kritisch. Es wird darauf hingewiesen, dass eine enge Zusammenarbeit mit einem staatlichen russischen Unternehmen Risiken für die innere und äußere Sicherheit birgt.
Die Diskussionen rund um die Lizenzfertigung von Brennelementen in Lingen zeigen, wie komplex die Energiepolitik in Zeiten geopolitischer Spannungen sein kann. Die verschiedenen Gutachten und Expertenmeinungen illustrieren die Herausforderungen, denen sich Entscheidungsträger stellen müssen. Die Frage nach der Sicherheit und Unabhängigkeit in der Energieversorgung bleibt ein zentrales Anliegen.
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