Tatsächlich gibt es Kräfte, die die Diskussion um den Klimawandel durch das Argument ergänzen, wie umweltschonend die Energiegewinnung aus Atomkraft sei. In Deutschland wurde diese These damit verbunden, den schon längst beschlossenen Atomausstieg nach hinten zu verschieben und die Laufzeit der bestehenden Atomkraftwerke zu verlängern. Auch international wird der Bau neuer Atomkraftwerke für die Energiegewinnung weiter vorangetrieben. Ist Atomkraft nachhaltig, bleibt die zentrale Frage.
Was bedeutet „Atomkraft nachhaltig“?
1987 definierte die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung „substainable development“ als ein Konzept, das nicht alleine einen humanökologischen Kontext betrachtet, sondern auch einen weiten Zeithorizont sieht.
Jetzt wurden Atomkraftwerke von der Europäischen Kommission ausdrücklich als nachhaltig eingestuft. Diese Entwicklung könnte für die Grünen gefährlich werden.
Die Diskussion verschlafen
Anstatt innerhalb der Diskussion gegen die Einordnung der Nuklarenergie als „nachhaltig“, Protest zu erheben, war von den Grünen nichts zu hören. Da die Genehmigung und der Bau neuer Kernkraftwerke Jahrzehnte benötigt, würde sich die Debatte um die Kernkraft einschließlich ihres weiteren Ausbaus von selbst erledigen. Nach 2050 würden die letzten Kernkraftwerke ohnehin auslaufen. In Deutschland gab es nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem danach beschlossenen endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie wieder Ruhe in der Debatte um die Kernenergie. Viele wägten sich in Sicherheit und glaubten, dass alle anderen Länder dem vorbildlichen deutschen Weg des Atomausstiegs folgen würden.
So hörten die Grünen nur zu, als der Präsident Frankreichs, Emmanuel Macron, von einer neuen und sicheren Kernenergie sprach. So wurde offensichtlich, dass Frankreich und einige osteuropäische Länder die Atomkraft als nachhaltig bezeichnet haben wollen. Die Grünen schwiegen auch, als ihre skandinavischen Parteifreunde plötzlich in der Kernenergie nur Gutes fanden. Ebenso war von den Grünen nichts zu hören, als osteuropäische Politiker ihr Interesse an neuen Mini-Atomkraftwerken zeigten, die versprachen, alles noch schneller, günstiger und sicherer zu machen.
Die Grünen, die jetzt in der Regierung mitregieren, werden nicht verhindern, dass ihr einstiger Mythos, der zu ihrer Gründung beitrug, nämlich „Atomkraft – Nein danke“ durch die Initiative der EU-Kommission ausgehebelt wird.
Deutschland und das Erdgas als Übergangsenergie
Doch hinter alledem steht ein einfacher Gedanke: Besteht weiterhin die Absicht, dass Europa zur Jahrhundertmittel klimaneutral sein will, werden in den nächsten Jahren viele Investments deutlich an Wert verlieren. Schon jetzt investiert niemand mehr in die Braunkohle. Ebenso würden nur noch Zocker über ein Projekt zur Erschließung eines Erdölfeldes und die Errichtung einer Bohrinsel für Erdöl nachdenken. Genauso werden Gebäude, die zu viel Energie benötigen und Investmentfonds, deren Portfolio aus zahlreichen „braun“ angehauchten Unternehmen bestehen, zunehmend für Investitionen oder Anleger unattraktiv.
Allerdings müssen auch Übergangstechnologien bewertet werden. Dies betrifft vor allem den Bereich der Energieerzeugung. Zwar bereiten Kernkraftwerke weiterhin Probleme. Sicher ist jedoch, dass die Erzeugung von Strom durch Kernspaltung das Klima weniger belastet als nahezu alle anderen Technologien. Es wird kein Kohlendioxid ausgestoßen. Deutschland verwendet sich daher für Erdgas als Übergangslösung. Erdgas setzt zwar bei der Verbrennung Kohlendioxid frei, die Bilanz ist hier aber deutlich besser als die von Öl oder Kohle.
Deutschlands Alleingang
Deutschland alleine wird nicht in der Lage sein, die Einstufung von Atomkraftwerken durch die Europäische Kommission als nachhaltig zu verhindern. Dies ist besonders für den Regierungspartner Grüne bedenklich. Dennoch kontern die Grünen und senden ein klares Nein nach Brüssel. Dieser Alleingang wird jedoch wahrscheinlich ein solcher bleiben. Dabei sollen die Grünen, genauso wie allen anderen politischen Parteien, schon seit Monaten gewusst haben, dass die EU-Kommission die Absicht habe, die Kernenergie als klimafreundlich zu deklarieren. Da nutzt das nach Brüssel gesendete „Nein“ auch nicht mehr viel. Die Grünen haben bisher offenbar geschwiegen und werden die jetzige Neuentwicklung wohl nicht mehr verhindern können. Dennoch gibt es erbitterten Protest gegen das neue Regelwerk, durch das Europa signalisiert, was jetzt als nachhaltig gilt und somit zukunftsträchtig ist. Peinlich und möglicherweise gefährlich wird es für die Grünen bleiben.