In Deutschland wurden allein im laufenden Jahr 650.000 neue Heizlüfter angeschafft. Viele Haushalte besaßen natürlich auch schon vorher so ein Gerät. Sollten die vermutlich über eine Million Stromfresser im Winter auf einmal eingeschaltet werden, könnte die Stromversorgung zusammenbrechen. Davor hat jetzt der Städtebund eindringlich gewarnt. Zudem rät er im Einklang mit vielen einzelnen Kommunen den Bürgerinnen und Bürgern, jetzt Wasser und Lebensmittel für 10 Tage sowie Kerzen, Batterien und ein Notfallradio in Reserve zu halten. Der zivile Katastrophenschutz soll dringend gefördert werden (t-online, 10.09.2022).
Blackout als reale Gefahr
Der Geschäftsführer des Städtebundes Gerd Landsberg hält die Gefahr von Blackouts im kommenden Winter für sehr real. Gegenüber der „Welt am Sonntag“ sagte er, dass es in Deutschland noch keine echte Krisenvorsorge gebe. Der zivile Katastrophenschutz müsse viel intensiver ausgebaut werden. Dass die vielen Heizlüfter im kommenden Winter wirklich relativ gleichzeitig eingeschaltet werden, ist für Landsberg eine ausgemachte Sache: Immerhin heizen etwa die Hälfte aller deutschen Haushalte mit Gas, das es schon jetzt nicht mehr ausreichend gibt, seit Russland die Lieferungen über Nordstream 1 komplett eingestellt hat.
Den Leuten dürfte also gar nichts anderes übrig bleiben, so der Verbandsfachmann. Doch das könne das Stromnetz unmöglich ohne gelegentliche Blackouts überstehen. Das Alternativszenario der rollierenden Stromabschaltungen, bei denen bestimmte Städte oder Regionen nach Ankündigung für wenige Stunden keinen Strom erhalten, erwähnte Landsberg nicht. Solche Pläne existieren bereits. In anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und der Schweiz wird darüber auch offen geredet, doch hierzulande beschwören Politiker derzeit noch die angeblich so stabile deutsche Stromversorgung.
Appell an die Bürger
Der Städtebundgeschäftsführer wandte sich auch mit einem flammenden Appell direkt an die Bürgerinnen und Bürger: Sie sollen die Empfehlungen zum Katastrophenschutz beachten. Derzeit mögen in der Tat nur die wenigsten Menschen daran glauben, dass sie schon im Dezember oder Januar für mehrere Tage keinen Strom haben könnten, was auch die öffentliche Versorgung mit Lebensmitteln, Kraftstoff und Kommunikationsdienstleistungen zusammenbrechen lässt. Landsberg verwies auf die Einzelbereiche:
- Die Folgen eines Stromausfalls für den eigenen Haushalt können sich die meisten Menschen noch vorstellen. Es funktionieren weder Licht noch elektrische Haushaltsgeräte und Heizungen, auch der Router für das Internet und das Festnetztelefon fällt aus.
- Das Wasser fällt aus, weil die Pumpen der Wasserwerke nicht mehr laufen.
- In den Betrieben stockt die Produktion.
- Der Kraftstoff kann mangels Strom weder geliefert noch an Zapfsäulen entnommen werden.
- Lebensmittel werden knapp, weil Supermärkte umgehend schließen. Sie können ohne Strom keine Einnahmen verbuchen, schon gar keine mit Kartenzahlung. Zudem befürchten sie Diebstähle und Plünderungen. Ihre Kühlhäuser fallen aus, die Lebensmittel verderben.
- Die Akkus der Funktelefone und Laptops sind nach zwei Tagen leer. Darüber hinaus funktionieren die Übertragungsmasten für den Mobilfunk ohne Strom nicht.
- Die Gesundheitsversorgung bricht weitestgehend zusammen. Krankenhäuser können mit Notstromaggregaten bestenfalls für einige Tage die dringendsten Notfälle versorgen.
- Die öffentliche Sicherheit ist extrem gefährdet. Auch die Polizei braucht Kraftstoff, Strom und Kommunikationsmöglichkeiten.
Auf so ein Szenario sei niemand in Westeuropa derzeit vorbereitet, so Landsberg. Ähnlich hatte sich in der vergangenen Woche Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) geäußert. Dieser hatte vor dem Atomausstieg gewarnt, für den er rein ideologische Gründe beim grünen Wirtschaftsminister Habeck ausmachte.
Wie realistisch ist die AKW-Reserve der Ampelkoalition?
Die Ampelkoalition will zwei Atomkraftwerke als Reserve vorhalten – ein Plan, den die Kraftwerksbetreiber und externe Fachleute für wenig realistisch halten. Der Chef von Preussen Elektra Guido Knott machte als Betreiber des AKW Isar 2 seinem Ärger in einem Brandbrief Luft. An Patrick Graichen, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, schrieb er, dass die sogenannte Kaltreserve von Atomkraftwerken technisch nicht machbar sei.
Die Idee sei daher vollkommen ungeeignet für einen Versorgungsbeitrag der Anlagen. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass ein Atomkraftwerk für das Anfahren aus der angedachten kalten Reserve mindestens eine Woche braucht. Damit lässt sich also nicht auf einen Blackout reagieren. Vernünftig wäre es daher in der gegenwärtigen Situation, die drei letzten deutschen Atommeiler über den Jahreswechsel hinaus wenigstens im Streckbetrieb laufen zu lassen. Dabei werden die noch vorhandenen Brennstäbe so lange verwertet, wie sie Wärmeenergie liefern können. Das könnte bis zum Frühjahr wenigstens für ~70 % der bisherigen Kraftwerksleistung reichen.
Wie steht es um die Gasversorgung?
Russisches Gas kommt derzeit zwar nicht mehr über Nordstream 1, jedoch noch in sehr geringen Mengen über eine südliche Pipeline an. Die Kompensation durch LNG gelingt noch nicht vollständig. Wenigstens sind die Gasspeicher einigermaßen gefüllt: Ihr Füllstand lag Ende letzter Woche bei ~85 %. Ob wir damit über den Winter kommen, bleibt abzuwarten.