Die Energiepolitik hat den Strommarkt zu einem unübersichtlichen und problematischen System gemacht, das mittlerweile die Versorgungssicherheit gefährdet. Durch den Ausstieg aus der Kernenergie, den geplanten Ausstieg aus der Kohle und den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien wird die Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung immer schwieriger (wiwo: 27.06.23). Um diesem Problem entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung die Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ ins Leben gerufen. Die Industrie fordert finanzielle Unterstützung für den Neubau von Kraftwerken. Bisherige Konzepte sind jedoch nicht überzeugend.
Strommarkt in der Zwickmühle: Wie der Staat die Kontrolle übernimmt und Preise beeinflusst
25 Jahre nach der Liberalisierung des deutschen Strommarktes hat der Staat wieder weitgehend die Kontrolle übernommen. Politische und regulatorische Vorgaben bestimmen nun fast alle Marktein- und -austritte. Im täglichen Stromhandel verhindern politische Widerstände, dass regionale Engpässe sich in den Strompreisen widerspiegeln, obwohl dies die Gesamtkosten senken und die Versorgungssicherheit erhöhen würde.
Der Staat greift in vermeintlich hohe Gewinne ein und subventioniert drohende Verluste. Ein spezieller Strompreis für energieintensive Industrien soll die Kosten niedrig halten. Sogenannte Differenzverträge könnten zur Abkoppelung und weiteren Subvention der Solar- und Windenergie vom regulären Marktgeschehen führen.
Der Strommarkt ist aufgrund vieler gut gemeinter Eingriffe in eine uneinheitliche Struktur geraten, gefangen zwischen liberalisiertem Wettbewerb und staatlichen Interventionen.
Sicherheitsrisiko Stromversorgung: Warum Investitionen in Gaskraftwerke ausbleiben und die strategische Reserve scheitert
Dies hat zur Folge, dass die Sicherheit der Stromversorgung zunehmend gefährdet ist. Wenn Wind und Sonne keinen Strom liefern, benötigen die Netzbetreiber Dutzende von Gaskraftwerken, um die Versorgung sicherzustellen. Doch bisher ist kein Unternehmen bereit, in diese zu investieren (Blackout-News: 29.03.23). Dazu kommt auch noch, dass die EU-Kommission die von Habeck geplante Subventionierung neuer Gaskraftwerke ablehnen will, was den dringend erforderlichen Ausbau komplett verhindern könnte (Blackout-News: 30.06.23). Wenn die Versorgungssicherheit jedoch gefährdet ist, verfehlt der Staat auch die klima- und wirtschaftspolitischen Ziele Deutschlands. Um diesem Problem entgegenzuwirken, plant die Politik die Einführung einer „strategischen Reserve“ von Gaskraftwerken mit einer Kapazität von etwa 25 GW. Es besteht jedoch Uneinigkeit darüber, ob dies ausreichend ist. Zudem ist nicht nur eine Prüfung des Volumens, sondern auch auf die Eignung des Konzepts erforderlich. Dabei schneidet die strategische Reserve nicht gut ab.
Die strategische Reserve ist ineffizient und kostspielig. Im Gegensatz zu einer strategischen Ölreserve, die für Krisenzeiten zurückgehalten wird, kann ein Gaskraftwerk, das im Notfall bereitstehen soll, auch während normaler Zeiten Strom produzieren. Die Netzbetreiber dürfen die strategische Reserve jedoch nur dann nutzten, wenn der Markt kurz vor dem Zusammenbruch steht. In normalen Zeiten bleiben die Kapazitäten ungenutzt, obwohl sie zur Finanzierung der Reserve beitragen und die Strompreise senken könnten. Es ist bekannt, dass das Zurückhalten von Kapazitäten auf regulären Strommärkten als Ausübung von Marktmacht sanktioniert wird. Bei der strategischen Reserve hingegen belohnt der Staat dies sogar.
Der Irrglaube der strategischen Reserve: Warum Versorgungssicherheit nicht automatisch gewährleistet ist
Die Annahme, dass eine erhöhte strategische Reserve automatisch zu mehr Versorgungssicherheit führt, ist nicht korrekt. Die Versorgungssicherheit hängt von der gesicherten Leistung ab, die dem gesamten Markt zur Verfügung steht. Wenn jedoch die strategische Reserve Investitionen im regulären Markt verdrängt, könnten die erwünschten Effekte auf die Versorgungssicherheit teilweise verloren gehen.
Die Rolle des Staates endet nicht mit dem Bau neuer Kraftwerke. Bei jedem Einsatz der strategischen Reserve muss der Staat auch die Strompreise in Knappheitssituationen festlegen. Hohe Strommarktpreise sind in solchen Situationen nicht ungewöhnlich. Allerdings sind hohe Preise politisch unerwünscht.
Wenn die Politik jedoch die Preise niedrig hält, hat dies negative Auswirkungen auf Investitions-, Produktions- und Flexibilisierungsanreize im Strommarkt. Außerdem bringt die Steuerung einer strategischen Reserve regulatorische Herausforderungen mit sich. Allein die Existenz vieler Gaskraftwerke garantiert nicht, dass diese in Zeiten extremer Knappheit tatsächlich Strom produzieren. Ein Beispiel dafür ist der katastrophale Blackout in Texas im Jahr 2021 aufgrund eines extremen Kälteeinbruchs, bei dem viele Gaskraftwerke aufgrund fehlender Winterfestigkeit ausfielen und einfroren.
Ansätze für die Versorgungssicherheit: Warum neue Kraftwerke nicht die einzige Lösung sind
Es gibt verschiedene Vorschläge zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit, bei denen nicht unbedingt der Bau neuer Kraftwerke als Teil der strategischen Reserve vorgesehen ist. Ein Beispiel ist der Vorschlag eines „Neubau-Vorschusses“, den der Netzbetreiber TransnetBW entwickelt hat. Der Vorschlag sieht vor, eine Subvention an den Beitrag des geplanten Kraftwerks zur Netzstabilität zu koppeln. Es ist dabei aber zu beachten, dass Netzstabilität und Versorgungssicherheit grundsätzlich unterschiedliche Herausforderungen sind und unterschiedliche Lösungen erfordern. So sind sowohl kurzfristige Anreize für den Betrieb zu berücksichtigen, als auch Anreize für langfristige Investitionen. Der Vorschlag „Neubau-Vorschuss“, vermischt beides. Dies kann dazu führen, dass die Anreize der Erzeuger, die zur Netzstabilität beizutragen, darunter leiden. Bei garantierten Zahlungen, sind sie unter Umständen weniger motiviert im Ernstfall ihren Beitrag zu leisten.
Darüber hinaus konzentrieren sich sowohl der „Neubau-Vorschuss“ als auch die strategische Reserve nur auf die Angebotsseite des Strommarktes. Es ist jedoch auch wichtig, die Rolle großer Stromverbraucher bei der Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. Wenn sie in Zeiten von Stromknappheit ihre Produktion reduzieren können, können sie ebenfalls zur Sicherstellung der Versorgung beitragen. Der „Neubau-Vorschuss“ wäre ein weiterer Flicken im Strommarkt.
Die Zukunft der Strommarktstabilität: Warum ein umfassender Kapazitätsmarkt die Lösung sein könnte
Im Laufe der Zeit wurden viele fragmentierte Mechanismen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit in den Strommarkt integriert. Trotzdem sind die Sorgen nicht kleiner geworden, sondern haben sich im Gegenteil verstärkt. Daher sollte die Möglichkeit eines umfassenden und kohärenten Mechanismus zur Förderung von Flexibilität auf dem Markt in Betracht gezogen werden. Ein solcher Mechanismus sollte sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite verschiedene Technologie- und Flexibilitätsoptionen berücksichtigen. Andere Länder nutzen die Kapazitätsmärkte, um die Stabilität der Strommärkte zu verbessern. Dies könnten auch in Deutschland eine Lösung sein.
Ein umfassender Kapazitätsmarkt ist jedoch kein Selbstläufer und hat seine eigenen Herausforderungen. Bei einer angemessenen Ausgestaltung bietet er jedoch viele Vorteile: Er würde auch Investitionen in Speicher und Flexibilität bei den Stromverbrauchern berücksichtigen, keine Kraftwerke vom regulären Markt ausschließen, die gesamte gesicherte Kapazität garantieren und zusätzliche Kapazitäten nur dann vergüten, wenn die Anreize für Investitionen im regulären Strommarkt nicht ausreichen. Der erste Bericht der Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ wird voraussichtlich im Spätsommer veröffentlicht. Die spannende Frage lautet dann, ob wir weiterhin an fragmentierten Lösungen festhalten oder ob es gelingt, mit einem umfassenden Gesamtkonzept den zunehmend fragilen Strommarkt auf ein stabiles Fundament zu stellen.