Die aktuelle Gemengelage aus Klimawandel und steigenden Energiepreisen könnte in naher Zukunft auch in wohlhabenden Ländern zu häufigen und großflächigen Stromausfällen führen. Davor warnen Fachleute. Es gibt für diese Annahme handfeste Indizien: In Kalifornien konnten Anfang September 2022 landesweite Stromausfälle nur mit knapper Not abgewendet werden. In Großbritannien zahlen die Verbraucher demnächst das Doppelte für ihren Strom (Business Insider, 09.09.2022).
Neues Zeitalter der Instabilität
Das Bewusstsein eines neuen, höchst instabilen Zeitalters dürfte in die Köpfe nicht so schnell einsickern, denn der Mensch stellt sich nur sehr ungern auf eine schlechtere Lage um. Doch die Lage ist prekär und wird voraussichtlich noch prekärer werden. Es steigen nicht nur die Energiekosten, es drohen zusätzlich auch Blackouts und Netzinstabilität. Die nun schon offiziell kommunizierten Krisenversorgungslisten (unter anderem der Bundesregierung, aber auch einzelner Länder und Kommunen) sind beileibe keine Panikmache.
Ein Blackout im kommenden Winter ist eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Möglicherweise wird ihm mit sogenannten rollierenden Abschaltungen begegnet, bei denen die Versorger geplant und angekündigt zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Regionen den Strom stundenweise abstellen. Da aber in der Tat auch ein Blackout, also ein unerwarteter und flächendeckender Stromausfall, nicht auszuschließen ist, sollten die Bürger*innen einschlägigen Empfehlungen zu einem Notvorrat an Batterien, unverderblichem Essen und Kerzen durchaus nachkommen. Stromausfälle dürfte es Zukunft sogar weltweit geben.
Energieknappheit als ungewohntes Szenario
Das Szenario gab es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr: Die westliche Welt muss sich auf eine anhaltende und ausgedehnte Energieknappheit einstellen. Betroffen sind die USA, die EU und Großbritannien. In diesen Wirtschaftsregionen schlägt die Rohstoffkrise durch den Ukraine-Krieg voll durch. Deren schlimmster Teil steht uns noch bevor. Ohne drastische Einschnitte in die Privatwirtschaft und weitreichende politische Entscheidungen dürfte ein Umlenken sehr schwer werden.
Zu den Versorgungsengpässen und wirtschaftlichen Kosten werden steigende Gesundheitsrisiken und möglicherweise Unruhen in einzelnen Staaten kommen. Zur Energiekrise gesellt sich die Klimakrise. Die Europäer und Amerikaner erleiden derzeit Hitzewellen, die es in der Zivilisationsgeschichte wohl so noch nie gab. Mit Klimaanlagen lässt sich wiederum durch die Energiekrise kaum gegensteuern. Das erlebte gerade der US-Bundesstaat Kalifornien. Dort musste die Regierung die Bewohner auffordern, ihre Klimaanlagen abzuschalten, weil sonst ein Stromausfall drohe. In den nächsten Jahren ist diese Situation auch in Texas, Missouri, Illinois und an der Westküste zu erwarten.
Im Winter wiederum könnte der massenhafte Einsatz von Heizlüftern das Stromnetz gefährden. Diese haben gerade vor allem deutsche Haushalte angeschafft, die normalerweise mit Gas heizen und befürchten, dessen Kosten im kommenden Winter nicht mehr tragen zu können. Wohin sich eine Energiekrise entwickeln kann, zeigt exemplarisch das Beispiel des eigentlich wohlhabenden US-Bundessstaates Kalifornien. Die Bürger*innen sollten im sehr heißen Sommer 2022 weder ihre Klimaanlagen nutzen noch ihre E-Autos zu bestimmten Zeiten aufladen. Deren Anteil ist in Kalifornien überdurchschnittlich hoch.
Die größte Belastung geht allerdings nach Angaben von Netzbetreibern von den Klimaanlagen aus. In Kalifornien sind die Durchschnittstemperaturen innerhalb weniger Jahre so schnell gestiegen, dass die Hitzetoleranz der Menschen dies nicht kompensieren kann. Durch lassen die Einwohner ihre Klimaanlagen gegenüber früheren Jahren deutlich länger laufen. Dafür ist das Stromnetz nicht ausgelegt.
Abschied von fossilen Brennstoffen?
Mit dem technischen Stand des Jahres 2022 liefern fossile Brennstoffe und die mit ihnen betriebenen Kraftwerke am zuverlässigsten stabilen Strom. Darauf verweist etwa der Forscher Romany Webb von der Columbia Law School. Doch die Verknappung beim Gas und der Klimawandel haben gemeinsam eine Gemengelage geschaffen, in der diese gewohnte Stabilität wohl endet. Diejenigen Länder, in denen es sehr heiß werden kann, stehen vor extremen Herausforderungen. So dürften im Sommer 2022 etwa acht Millionen Einwohner in den südlichen US-Bundesstaaten Temperaturen jenseits der 50 °C im Schatten erlebt haben. Das ist extrem gefährlich für den menschlichen Organismus.
Die First Street Foundation hat in einer aktuellen Studie errechnet, dass im Jahr 2053 weltweit wahrscheinlich 107 Millionen Menschen mit solchen Temperaturen leben müssen. Eine Alternative bieten nun die erneuerbaren Energien, die aber naturgemäß nur volatilen Strom liefern. Die größte Herausforderung dürfte darin bestehen, mit ausreichenden und technisch zuverlässigen Speicherlösungen die nötige Netzstabilität herzustellen, auch wenn der Solar- und Windstrom mal im Übermaß und dann wieder gar nicht fließt. Das wäre gut für das Klima und gut für die Versorgungssicherheit auch ohne fossile Brennstoffe, die aus Diktaturen wie Russland kommen. Das politische, ökonomische und technische Umsteuern hin zu diesem Ziel wird uns aber in den kommenden Jahren eine gewaltige Kraftanstrengung abverlangen.