Russisches Gas in Europa bleibt ein geopolitischer Zankapfel, obwohl die Europäische Union den Ausstieg beschlossen hat. Ungarn verfolgt dennoch einen eigenen Kurs, weil Versorgungssicherheit und Preisstabilität für Budapest Vorrang haben. Viktor Orbán stützt sich bewusst auf die Türkei, um Ungarns energiepolitische Unabhängigkeit zu sichern und Brüsseler Vorgaben beim Gastransit zu umgehen (telepolis: 13.12.25).
Russisches Gas in Europa als Machtfaktor
Bei einem Treffen in Istanbul sicherte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Ungarn den Weitertransport von russischem Gas über die Turkstream-Pipeline zu. Orbán machte deutlich, dass diese Zusage zentral für die nationale Energieversorgung ist, denn allein in diesem Jahr erreichten rund 7,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland Ungarn. Diese Menge entspricht fast der Hälfte der gesamten Turkstream-Lieferungen nach Europa, weshalb russisches Gas in Europa faktisch weiterhin eine tragende Rolle spielt.

Zugleich betonte Orbán, dass alternative Bezugsquellen kurzfristig nicht verfügbar seien und deshalb eine stabile Lieferroute über den Gastransit Türkei unverzichtbar bleibe. Damit stellt sich Ungarn offen gegen den geplanten EU-Ausstieg, während andere Mitgliedstaaten den Kurs aus Brüssel mittragen.
Ungarns Energiepolitik zwischen Washington und Ankara
Parallel zu den Gesprächen in der Türkei verwies Orbán auf Absprachen mit den USA, die Ungarn vor Sanktionen wegen russischer Öl- und Gaslieferungen schützen sollen. Nach einem Treffen mit dem damaligen US-Präsidenten erklärte er, Ungarn habe für Turkstream und die Druschba-Pipeline eine umfassende Ausnahme erhalten. Diese Zusage stärkt Ungarns Energiepolitik erheblich, weil sie Planungssicherheit schafft.
Washington verfolgt dabei eigene Interessen. Während beim Öl strenge Vorgaben gelten, bleibt der Betrieb der Pipeline bislang von Strafmaßnahmen ausgenommen. Diese Differenzierung zeigt, dass EU-Sanktionen Energiepolitik nicht überall durchsetzbar sind, wenn geopolitische Erwägungen überwiegen.
Niedrige Preise als politisches Kernargument
Orbán kündigte an, Ungarn werde weiterhin die niedrigsten Energiepreise in Europa sichern, weil es sich nicht ideologischen Vorgaben unterwerfe. Außenminister Péter Szijjártó wies Berichte über angeblich befristete Ausnahmen zurück und sprach von gezielter Irreführung. Tatsächlich erteilte die US-Behörde OFAC eine spezielle Genehmigung für Öllieferungen über die Druschba-Leitung bis 2026.
Diese Konstellation unterstreicht, dass russisches Gas in Europa zwar politisch umstritten ist, wirtschaftlich jedoch weiterhin gebraucht wird. Für Ungarn bleibt die Preisstabilität entscheidend, während energiepolitische Eigenständigkeit als Standortvorteil gilt.
EU-Sanktionspolitik und juristischer Widerstand
Das jüngste EU-Sanktionspaket sieht ein Verbot russischer LNG-Importe ab 2027 vor, zudem soll Pipelinegas spätestens Ende 2027 auslaufen. Budapest kündigte dagegen rechtliche Schritte an, weil ein Importstopp neue Abhängigkeiten schaffen würde. Szijjártó warnte vor Monopolstrukturen, die zu steigenden Strom- und Heizkosten führen könnten.
Aus ungarischer Sicht gefährden EU-Sanktionen Energiepolitik nicht nur die Versorgung, sondern auch soziale Stabilität. Deshalb setzt die Regierung auf Konfrontation mit Brüssel, während sie zugleich bestehende Lieferketten absichert.
Pipeline-Umzug nach Budapest als Signal
Um Risiken zu minimieren, verlegt der Betreiber der Turkstream-Pipeline seinen Sitz von den Niederlanden nach Ungarn. Hintergrund ist die Beschlagnahme von Vermögenswerten durch ein Gericht in Amsterdam nach einer Klage eines ukrainischen Unternehmens. Mit dem Umzug nach Budapest will Ungarn den Betrieb dauerhaft sichern.
Szijjártó erklärte, dass Zahlungsabwicklungen dank US-Ausnahmen nicht betroffen seien und der kontinuierliche Gasfluss gewährleistet bleibe. Damit stärkt Ungarn seine Rolle als Transitland und signalisiert, dass europäische Energieversorgung nicht allein in Brüssel entschieden wird.
Geopolitische Deals statt kompletter Abkopplung
Russland erweiterte parallel den Kreis der Banken, die Zahlungen für Gasimporte abwickeln dürfen, um Lieferungen bis 2026 abzusichern. Auch hier greifen Ausnahmeregelungen, die zeigen, dass ein vollständiger Bruch unrealistisch ist. De facto bleibt russisches Gas in Europa ein Bestandteil des Energiemarktes, auch wenn politische Rhetorik anderes suggeriert.
Ungarn nutzt diese Grauzonen konsequent aus. Zwischen Washington, Moskau und Ankara positioniert sich Budapest als pragmatischer Akteur, der wirtschaftliche Vorteile sucht. Der Fall zeigt, dass energiepolitische Realität oft stärker wirkt als politische Beschlüsse.
