Die nächste Bundesregierung könnte frischen Wind in die deutsche Fusionsforschung bringen. Während weltweit immer mehr Kapital in diese Technologie fließt, setzt Frankreich mit einem neuen Rekord ein Zeichen. Zwischen 2021 und 2024 stiegen die Investitionen in private Fusionsunternehmen um 300 Prozent. Staatliche Mittel für Forschungseinrichtungen sind hier nicht eingerechnet. Laut einer Analyse der Unternehmensberatung Arthur D. Little liegt das Interesse aus Industrie und Wirtschaft auf hohem Niveau. Insgesamt sicherten sich Start-ups in diesem Bereich bereits 7,5 Milliarden Dollar. Zudem plant der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz, Fusionsreaktoren in Deutschland bauen zu lassen, um das Land an die Spitze der Technologie zur Kernfusion zu führen (handelsblatt: 18.03.25).
Revolution der Kernfusion als Energiequelle
Ein Durchbruch in der Kernfusion könnte die Energieversorgung grundlegend verändern. Die Technologie verspricht saubere, unbegrenzt verfügbare Energie mit deutlich weniger radioaktivem Abfall als die Kernspaltung. Zudem entfällt das Risiko einer Kernschmelze. Verschiedene Konzepte werden aktuell erprobt.

Große Tech- und Energiekonzerne treiben die Forschung voran. Unter den Investoren befinden sich Jeff Bezos, OpenAI-Chef Sam Altman sowie Unternehmen wie Alphabet, Chevron, Shell und Equinor. In Deutschland gibt es vier bedeutende Fusionsunternehmen: Proxima, Marvel, Gauss und Focused Energy. Trotz Wirtschaftskrise mangelt es ihnen nicht an Investoren. Marvel Fusion sammelte im September fast 63 Millionen Euro ein. Diesmal beteiligte sich auch die Deutsche Telekom.
Erste Prototypen entstehen
Weltweit entstehen derzeit erste Prototypen. Sogar Kundenverträge werden bereits abgeschlossen, etwa zwischen Microsoft und Helion. Marvel Fusion arbeitet eng mit Siemens Energy an einem ersten Kraftwerkskonzept. Proxima veröffentlichte bereits ein Bau- und Betriebskonzept für eine kommerzielle Fusionsanlage.
Francisco Sciortino, Chef von Proxima Fusion, erklärt: „Jeder in Deutschland hat mittlerweile verstanden, dass wir Fusion brauchen. Auch die Politik.“ Jetzt entscheidet sich, wer zuerst eine funktionierende Anlage ans Netz bringt. Forscher arbeiten seit mehr als 70 Jahren an der Nutzung der Sonnenenergie auf der Erde. Vor drei Jahren gelang erstmals eine erfolgreiche Fusion im Labor. Seitdem steigen die Investitionen rapide.
Die aktuelle Weltlage mit geopolitischen Spannungen verleiht der Forschung neue Dringlichkeit. Europäische Vorreiter wollen diese Chance nutzen, um die Technologie aus dem Labor in die Industrie zu bringen. Die neue Bundesregierung spielt dabei eine zentrale Rolle.
Politik und Wirtschaft rücken zusammen
Ein Zusammenschluss von Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Brüssel soll die Entwicklung vorantreiben. Die European Fusion Association zählt Mitglieder wie Trumpf, Enel und Thales. Laut Milena Roveda, Chefin von Gauss Fusion, braucht es nun die Industrie, um die Technologie aus den Laboren in die Realität zu überführen.
Ob die Kernfusion tatsächlich zur Marktreife gelangt, bleibt unklar. Selbst Optimisten erwarten vor 2050 kein kommerzielles Kraftwerk. Trotzdem sieht die CDU große Chancen in der Technologie. Bereits im Wahlkampf betonte Friedrich Merz: „Wir sprechen uns für zwei große Fusionsreaktoren aus, die in Deutschland erprobt werden sollen.“ Die Union will, dass Deutschland hier Vorreiter bleibt und nicht China oder die USA das Feld überlassen.
CDU-Politiker Thomas Jarzombek warnt: „Wenn Deutschland jetzt nicht handelt, droht eine weitere Technologieentwicklung ohne deutsche Beteiligung. Dadurch geraten wir in neue Abhängigkeiten.“ Deshalb empfiehlt er, zwei konkurrierende Projekte staatlich zu fördern. Das soll den technologischen Fortschritt beschleunigen.
Unterschiedliche Fusionsansätze
In der Forschung gibt es zwei Hauptansätze. Die eine Methode basiert auf Magneten, um heißes Plasma zu kontrollieren. Proxima und Gauss Fusion setzen auf dieses Prinzip. Der Bau entsprechender Magnete im großen Maßstab stellt jedoch eine Herausforderung dar. Proxima plant, bis 2027 einen funktionierenden Prototyp zu entwickeln. Auch Gauss will in zwei bis drei Jahren erste Ergebnisse präsentieren.
Ein anderer Ansatz nutzt Hochleistungslaser, um Wasserstoff, Deuterium oder Bor auf extrem hohe Temperaturen zu erhitzen. Diese Technik wird in Deutschland vor allem von Marvel Fusion und Focused Energy erforscht. Focused Energy kündigte kürzlich an, bis 2035 ein erstes Fusionskraftwerk in Biblis zu errichten. Dabei kooperiert das Unternehmen mit Trumpf, RWE, der TU Darmstadt und dem GSI Helmholtzzentrum. Auch Marvel Fusion plant ein erstes Kraftwerk bis 2035.
Noch fehlen jedoch geeignete Laser, um die Vorhaben im industriellen Maßstab zu realisieren. Marvel Fusion baut derzeit zwei erste Testlaser in den USA. „Ende 2026 wollen wir erste Demonstrationen durchführen“, so Marvel-Chefin Heike Freund. Ein kommerzielles Kraftwerk bräuchte allerdings mehr als 100 dieser Hochleistungslaser.
Für beide Methoden gilt: Extreme Hitze und Energie sind erforderlich. Damit Wasserstoffkerne fusionieren und Helium bilden, müssen Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad Celsius erreicht werden. Die Kernfusion erfordert daher eine enorme technische Präzision und leistungsfähige Materialien.
Herausforderungen und Perspektiven
Marvel und Proxima planen eine erste Demonstrationsanlage bereits in den frühen 2030er-Jahren. Experten sehen das jedoch skeptisch. Bislang hat kein deutsches Start-up gezeigt, dass mehr Energie erzeugt werden kann, als verbraucht wird. US-Wissenschaftlern der National Ignition Facility (NIF) gelang dies erstmals vor drei Jahren mit Lasern. Dennoch lag die Gesamtenergie für das Experiment, inklusive der notwendigen Kühltechnik, deutlich über der erzeugten Leistung. Zudem hielt die Fusion nur wenige Nanosekunden an.
Frankreich erreichte kürzlich einen Weltrekord. In der WEST-Anlage im südfranzösischen Cadarache blieb das Plasma 1337 Sekunden stabil. Damit übertraf es den bisherigen Rekord des chinesischen EAST-Reaktors von 1066 Sekunden. Gauss-Chefin Roveda kommentiert: „Gerade steht es eins zu null für Europa.“
Die Stabilisierung des Plasmas in einer Fusion stellt eine der größten Herausforderungen dar. Noch schwieriger wird es, dies mit hoher Energieleistung zu verbinden. Nur eine langandauernde, leistungsstarke Fusion kann ein funktionierendes Kraftwerk ermöglichen.
SPD-Politikerin Nina Scheer bleibt skeptisch. Sie hält eine schnelle industrielle Nutzung für unwahrscheinlich und fordert den Fokus auf erneuerbare Energien. Die CDU kontert: „In Deutschland gibt es vier vielversprechende Unternehmen, die international Beachtung finden. Wir sollten ihnen alle Möglichkeiten zur Entwicklung einräumen“, erklärt Jarzombek.
Doch ohne staatliche Unterstützung wird es schwierig. Allein für eine erste Demonstrationsanlage, die mehr Energie erzeugt als sie verbraucht, sind Investitionen von rund einer Milliarde Euro erforderlich.
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