Die Merz-Regierung hat ehrgeizige Pläne formuliert. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es: „Wir stellen Deutschland als Spitzenstandort für digitale Zukunftstechnologien auf.“ Künstliche Intelligenz gilt ausdrücklich als Schlüsseltechnologie. „Wir setzen auf KI-Sprunginnovationen.“ Geplant ist, Rechenzentren massiv zu fördern und eine europäische „AI-Gigafactory“ nach Deutschland zu holen. Eine Digitalisierungsoffensive bei Netzbetreibern soll die Integration erleichtern. Ab 2027 soll die erste Gigafactory ihren Betrieb aufnehmen (fr: 18.08.25).
Deutsche Netze überlastet – Risiko für die Merz-Regierung
Doch die Realität sieht anders aus. Die Merz-Regierung möchte das Land aus der Fax-Ära führen und international konkurrenzfähig machen. Um mit den USA und China Schritt zu halten, braucht Deutschland starke digitale Strukturen. Rechenzentren sind unverzichtbar, gleichzeitig aber Stromfresser. Ein mittleres Zentrum mit 5 bis 20 Megawatt Anschlussleistung beansprucht so viel Strom wie bis zu 50.000 Haushalte.

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Cloud-Dienste und KI-Systeme wie ChatGPT treiben den Bedarf. Laut Bitkom existierten 2010 rund 1100 Rechenzentren, bis 2024 stieg die Zahl auf über 2000. Fast die Hälfte dient Cloud-Anwendungen. In den kommenden Jahren könnte die Marke von 3000 überschritten werden. Netzbetreiber warnen: „Die deutschen Netze sind nicht am Limit, sie sind überlastet.“
Warnungen aus der Branche
Die Übertragungsnetzbetreiber melden eine Flut an Anträgen. 50Hertz, zuständig für den Osten und Teile des Nordens, verzeichnet inzwischen Rechenzentrumsanfragen mit bis zu 1000 Megawatt. Das reicht, um Millionen Haushalte zu versorgen. E.DIS meldet 170 Anfragen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Das Netz schafft jedoch nur 2400 Megawatt. Schon heute scheitern Projekte im Raum Berlin. Google hat bereits aufgegeben.
Parallel entstehen weitere Belastungen. Um die Energiewende bis 2045 zu sichern, müssen Batteriespeicher angeschlossen werden. 50Hertz spricht von 700 Anträgen. Westnetz berichtet von Rechenzentrumsanfragen in Höhe von zehn Gigawatt. „Reicht die vorhandene Netzkapazität nicht aus, muss das Netz ertüchtigt oder ausgebaut werden“, erklärt Westnetz. Genehmigungen für Hochspannungsleitungen dauern bis zu zwölf Jahre.
Engpässe im Rhein-Main-Gebiet
Besonders problematisch zeigt sich die Lage in Frankfurt. DE-CIX betreibt dort einen der größten Internetknoten weltweit. Ein Drittel der gesamten Rechenzentrumsleistung konzentriert sich in dieser Region. Doch die Kapazitäten reichen nicht mehr. „Die derzeitige Nachfrage übersteigt deutlich das verfügbare Leistungsangebot im Frankfurter Netzgebiet“, erklärt Mainova.
Auch in Nordrhein-Westfalen spitzt sich die Lage zu. Zwischen Köln und Aachen sollen Rechenzentren die Braunkohle ersetzen. 14 Anträge liegen bei RheinNetz vor. Zusätzlich belasten Batteriespeicher und Industrieprojekte die Netze. Wo die Kapazität fehlt, braucht es teuren Ausbau. Doch dieser verzögert die Realisierung erheblich.
Merz-Regierung ohne Sonderrechte
Ein Kernproblem liegt in der Rechtslage. Netzbetreiber müssen Anträge nach Eingangsdatum abarbeiten. Sonderrechte existieren nicht. „Auch wenn Bundeskanzler Merz anruft und uns auffordert, seine AI-Gigafactory ans Netz anzuschließen, könnten wir das nicht tun, wenn andere schon auf der Liste stehen“, erklärt ein Netzbetreiber.
Die Stadtwerke München plädieren deshalb für neue Regeln. Unter technologischen und zeitlichen Aspekten seien zentrale Standorte für Rechenzentren und Großspeicher sinnvoll. „Für eine effiziente Umsetzung ohne Benachteiligung vorausschauender Netzbetreiber ist eine Anpassung des regulatorischen Rahmens erforderlich“, heißt es dort.
Blick in die Zukunft
Der Bund plant zwar einen massiven Netzausbau. Ab Mitte der 2030er Jahre könnte sich die Lage entspannen. Doch die Merz-Regierung droht wertvolle Zeit zu verlieren. Andere Regionen sichern sich längst entscheidende Standorte. Deutschland läuft Gefahr, seine Rolle in der globalen KI-Landschaft abzugeben, bevor eigene Projekte starten.
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