Neue Berechnungen entlarven fundamentale Irrtümer in der deutschen Energiepolitik. Erdgas galt als kurze Brücke ins Zeitalter erneuerbarer Energien. Doch die Annahmen über einen rapiden Verbrauchsrückgang halten der Realität nicht stand. Eine aktuelle Analyse der Unternehmensberatung McKinsey zeigt, dass Deutschland noch länger als erwartet auf Erdgas angewiesen bleibt. Diese Erkenntnisse könnten erhebliche Auswirkungen auf die Gaspreise haben (welt: 03.03.25).
Prognosen weichen stark von der Realität ab
Die Bundesregierung plante, den Erdgasverbrauch in Haushalten, Industrie und Kraftwerken drastisch zu senken. Die Erwartung: Bis 2030 sollte der Verbrauch von derzeit 740 Terawattstunden auf 550 bis 650 Terawattstunden sinken. Doch die neuen Berechnungen widersprechen dieser Annahme. Laut McKinsey bleibt der Gasbedarf mit 690 bis 720 Terawattstunden fast unverändert.

Die Gründe sind vielfältig. Zum einen stockt der Ausbau alternativer Energieträger wie Wasserstoff. Zum anderen schreitet der politisch gewünschte Einbau von Wärmepumpen langsamer voran als geplant. Bis 2030 sollten sechs Millionen Wärmepumpen installiert sein. Doch im vergangenen Jahr kamen nur 193.000 hinzu. Zudem werden nach wie vor deutlich mehr Gasheizungen als Wärmepumpen verkauft. Dies verlangsamt die Reduktion des Gasverbrauchs erheblich.
Energiepolitik beeinflusst Gaspreise massiv
Die Bundesregierung ermöglichte mit der sogenannten KANU2.0-Verordnung eine kurzfristige Abschreibung der Gasnetzkosten. Ziel war es, Netzbetreiber auf einen schnellen Ausstieg aus dem Erdgas vorzubereiten. Diese Maßnahme führte dazu, dass Verbraucher höhere Netzentgelte zahlen. Laut Verivox stiegen die Netzentgelte zum Jahreswechsel um 20 Prozent. Eine Familie mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden zahlte 2024 rund 460 Euro für das Gasnetz, 2025 sind es 553 Euro.
Sollte sich der von McKinsey prognostizierte Erdgasbedarf bewahrheiten, müsste die Politik ihre Entscheidungen überdenken. Eine längere Abschreibungsdauer für Gasnetze könnte die steigenden Kosten dämpfen. Die Bundesnetzagentur steht nun vor der Herausforderung, die neuen Verbrauchsprognosen in ihre Planungen einzubeziehen.
Industrie kann Erdgas kaum einsparen
Die Industrie hat bereits viele Effizienzpotenziale ausgeschöpft. Laut McKinsey sind nur noch zehn Prozent Einsparungen möglich. Einige Unternehmen könnten Wärmeprozesse elektrifizieren, doch bestehen erhebliche Herausforderungen. So sind leistungsfähige Stromanschlüsse erforderlich, um Produktionsprozesse zuverlässig zu betreiben. Zudem spielen Sicherheitsaspekte eine Rolle.
In einigen Industriezweigen steigt der Gasverbrauch sogar. Stahlhersteller etwa ersetzen Kokskohle durch Erdgas, weil Wasserstoff noch nicht in ausreichender Menge verfügbar ist. Der zusätzliche Gasbedarf für die geplante Produktion von zehn Megatonnen grünem Stahl könnte 15 bis 20 Terawattstunden betragen. Diese Entwicklung steht im Widerspruch zur ursprünglichen Annahme eines sinkenden Erdgasverbrauchs.
Kraftwerksbranche erhöht den Gasbedarf
Ein weiterer Faktor für den anhaltend hohen Gasverbrauch ist der steigende Bedarf in der Stromerzeugung. Deutschland schaltet Kohlekraftwerke ab, um Emissionen zu senken. Doch anstelle von erneuerbaren Energien übernehmen Gaskraftwerke eine zentrale Rolle als Ersatz. Bis 2030 müssen laut Bundesnetzagentur knapp 50 neue Gaskraftwerke mit einer Leistung von 300 bis 500 Megawatt gebaut werden. Sie sollen die schwankende Einspeisung von Wind- und Solarstrom ausgleichen.
McKinsey geht davon aus, dass der Erdgasbedarf durch die Kraftwerksbranche um mindestens 30 bis 35 Terawattstunden steigt. Einschließlich des Bedarfs der Fernwärmeerzeugung könnte die Nachfrage sogar um bis zu 60 Terawattstunden zulegen. Diese Entwicklung widerspricht den ursprünglichen Szenarien der Regierung, die von einer baldigen Abkehr vom Erdgas ausgingen.
Neue Strategie für die Energiewende erforderlich
Die McKinsey-Studie zeigt, dass die bisherigen Planungen der Energiewende stark überdacht werden müssen. Die Transformation des Energiesektors kann nicht allein durch ambitionierte Ziele erreicht werden. Es braucht realistische Maßnahmen, um Versorgungssicherheit und Kostenstabilität zu gewährleisten. Die Berater empfehlen eine strategische Neubewertung. Statt eines übereilten Rückbaus der Gasinfrastruktur sollten langfristige Nutzungskonzepte erarbeitet werden.
Eine Option wäre die schrittweise Umwidmung bestehender Gasleitungen für Wasserstoff oder CO₂-Transporte. Das 600.000 Kilometer lange Gasnetz besitzt einen enormen Wert und könnte auch bei einem sinkenden Erdgasverbrauch sinnvoll genutzt werden. Ohne Anpassungen bleibt Deutschland langfristig auf Erdgas angewiesen – mit entsprechenden Folgen für Verbraucher und Industrie.
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