Grüner Stahl in der Sackgasse: ArcelorMittal kehrt Klimaplänen den Rücken

Deutschlands Hoffnungen auf klimaneutralen Stahl geraten ins Wanken. ArcelorMittal, einer der größten Stahlproduzenten der Welt, zieht sich aus ambitionierten Plänen für CO₂-freie Produktion in Bremen und Eisenhüttenstadt zurück. Trotz zugesagter 1,3 Milliarden Euro vom Staat bleibt die Investition aus. Die politische Vision von „grünem Stahl“ droht zu scheitern – mit gravierenden Folgen für die Industrie und den Standort Deutschland. (BILD, 21.06.2024)


Internationale Konkurrenz und schlechte Rahmenbedingungen

Die wirtschaftlichen Grundlagen stimmen nicht. Reiner Blaschek, verantwortlich für das europäische Flachstahlgeschäft bei ArcelorMittal, erklärt: „Die Rahmenbedingungen ermöglichen aus unserer Sicht kein belastbares und überlebensfähiges Geschäftsmodell.“ Damit fällt nicht nur ein Großprojekt, sondern auch ein zentraler Pfeiler der deutschen Klimapolitik im Industriesektor.

Ein Hauptgrund liegt im globalen Wettbewerb. Laut Professor Reint Gropp vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle steht die deutsche Stahlproduktion gleich doppelt unter Druck. Einerseits dominiert extrem günstiger Importstahl aus China den Markt, produziert mit schmutzigem Kohlestrom. Andererseits fällt selbst grüner Stahl in anderen Ländern günstiger aus. In Südeuropa beispielsweise stehen billigere erneuerbare Energien zur Verfügung – grüner Wasserstoff kostet dort deutlich weniger als in Deutschland.

ArcelorMittal stoppt grüne Stahlpläne in Deutschland trotz Milliardenförderung – hohe Kosten und China-Konkurrenz bremsen die Klimawende.
ArcelorMittal stoppt grüne Stahlpläne in Deutschland trotz Milliardenförderung – hohe Kosten und China-Konkurrenz bremsen die Klimawende.

Subventionen helfen nicht gegen Standortnachteile

Gropp spricht von einem strukturellen Problem: „Dass die Technologie bei uns so stark subventioniert werde und selbst dann nicht funktioniere, spricht für sich.“ Die Realität überholt damit die politischen Visionen. Die Vorstellung, Deutschland könne zum globalen Vorreiter in der klimaneutralen Schwerindustrie aufsteigen, kollidiert mit Kostenwahrheiten und Standortnachteilen.

Auch Branchenkenner Andreas Schneider von Stahlmarkt Consult bestätigt diesen Trend. „Grüne Umbaupläne scheitern an der Realität. Es ist immer klarer geworden, dass sie wirtschaftlich nicht tragfähig sind.“ Die Nachfrage nach Stahl sinke in Deutschland stärker als in anderen EU-Ländern. Gleichzeitig fehlen die nötigen Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche Produktion mit Wasserstoff.

Bremen zahlt doppelt – mit Geld und Vertrauen

Besonders hart trifft der Rückzug die Stadt Bremen. Das Land wollte sich mit 250 Millionen Euro am Umbau beteiligen. Dafür hatte die Politik sogar die Landesverfassung geändert und neue Schulden aufgenommen. Nun droht ein Imageverlust. Bürgermeister Andreas Bovenschulte sprach von einem „schweren Schlag für den Bremer Wirtschaftsstandort“.

Auch Kritik aus der Opposition bleibt nicht aus. FDP-Landeschef Thore Schäck stellt klar: „Zukunft lässt sich nicht einfach erkaufen, schon gar nicht mit Schulden. Unternehmen mit Millionensummen zu subventionieren, kann nicht der Weg sein.“ Das Vertrauen in staatliche Förderung als Transformationsmotor bekommt tiefe Risse.


Andere Hersteller setzen weiter auf grüne Pläne – mit Einschränkungen

Während ArcelorMittal einen Rückzieher macht, halten andere Hersteller wie Thyssenkrupp Steel und Salzgitter am Ziel fest. Doch auch dort zeigt sich, wie fragil die Kalkulation ist. Ein Sprecher von Thyssenkrupp Steel betont: Man bewege sich mit dem Projekt „an der Grenze der Wirtschaftlichkeit“. Die Perspektive bleibt unsicher.

Gleichzeitig steigt der Druck durch die europäischen Klimaziele. Die CO₂-Kosten für klassische Hochofenprozesse wachsen kontinuierlich. Langfristig steht auch diese Produktionsweise vor dem Aus. Doch solange alternative Verfahren zu teuer bleiben, droht ein gefährlicher Zwischenzustand: hohe Investitionen ohne rentable Aussicht.

Fazit: Strukturwandel ohne Fundament

Der Fall ArcelorMittal zeigt, wie tief die Kluft zwischen politischem Anspruch und ökonomischer Realität verläuft. Der Umbau zur klimaneutralen Industrie gelingt nicht per Dekret. Subventionen ersetzen keine wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen. Ohne günstigen Strom, günstigen Wasserstoff und stabile Nachfrage bleibt grüner Stahl ein teures Wunschprojekt – und Deutschland verliert den Anschluss.

Lesen Sie auch:

Nach oben scrollen