2024 erlebt Deutschland das dramatischste Firmensterben seit den Nachwehen der Finanzkrise. Rund 196.000 Unternehmen gaben im vergangenen Jahr auf – ein Anstieg um 16 Prozent im Vergleich zu 2023. Besonders alarmierend: Nicht nur Kleinstbetriebe verschwinden, auch wirtschaftlich aktive Mittelständler und größere Unternehmen ziehen sich zurück. Creditreform und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) warnen vor einem strukturellen Umbruch mit weitreichenden Folgen (welt: 22.05.25).
Firmensterben in der Industrie nimmt drastisch zu
Besonders in der Industrie beschleunigt sich das Firmensterben. Über 4.000 größere Betriebe meldeten 2024 ihre Tätigkeit ab – fast doppelt so viele wie im langjährigen Durchschnitt. Hohe Energiekosten, globale Konkurrenz und verschlechterte Standortbedingungen treiben die Unternehmen zur Aufgabe. Viele Betriebe verlagern Produktionsteile ins Ausland oder frieren Investitionen ein. In der Folge verliert die deutsche Wirtschaft nicht nur Produktionskapazitäten, sondern auch wertvolles Know-how.

Energieintensive Branchen wie Chemie und Pharma zählen zu den größten Verlierern. Allein in diesem Sektor wurden 360 Unternehmen geschlossen – so viele wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Insgesamt stieg die Zahl der Schließungen in diesen Bereichen um 26 Prozent.
Zukunftsbranchen geraten unter Druck
Das Firmensterben macht auch vor innovationsgetriebenen Bereichen nicht halt. In der IT, Diagnostik, Umwelttechnik und Produktentwicklung wurden knapp 14.000 Betriebsschließungen registriert – ein Anstieg um fast 25 Prozent. ZEW-Expertin Sandra Gottschalk warnt: „Tatsächlich müsste dieser Sektor als Zukunftsbranche eigentlich wachsen.“ Doch der Mangel an Fachkräften zwingt viele Unternehmen zur Reduktion oder zur Aufgabe, weil Projekte nicht mehr wirtschaftlich realisierbar sind.
Auch in der Wohnungswirtschaft spitzt sich die Lage zu. Hier stieg die Zahl der Schließungen um 20 Prozent auf fast 10.000. Die Branche leidet ebenfalls unter dem Fachkräftemangel, der Bauprojekte verzögert oder verhindert. „Die Kapazitäten im Wohnungsmarkt schrumpfen – auch wegen fehlendem Fachkräftenachwuchs“, betont Creditreform-Experte Patrik-Ludwig Hantzsch. Im Gesundheitswesen mussten fast 11.000 Betriebe aufgeben – ein Zuwachs von acht Prozent.
Kleine Betriebe sterben leise
Insgesamt bleiben viele Betriebsschließungen unter dem Radar, weil sie nicht auf Insolvenzen zurückgehen. Neun von zehn Unternehmen ziehen sich ohne gerichtliches Verfahren aus dem Markt zurück. Besonders kleinere Firmen verschwinden oft unbemerkt. Gründe reichen von Nachfolgeproblemen über Krankheit der Inhaber bis hin zu überalterten Geschäftsmodellen. In Betrieben mit weniger als fünf Mitarbeitern erfolgten zuletzt über 90 Prozent der Rückzüge freiwillig.
Mit steigender Unternehmensgröße nimmt der Anteil der freiwilligen Schließungen deutlich ab. Bei Firmen mit mehr als 20 Beschäftigten liegt er nur noch zwischen 50 und 66 Prozent. Das zeigt, wie sehr der ökonomische Druck auch größere Strukturen erreicht.
Regionale Schwerpunkte ohne klares Muster
Das Firmensterben verteilt sich über das gesamte Bundesgebiet. In den Dienstleistungsbranchen fallen die Schließungsquoten in Städten und ländlichen Regionen ähnlich aus. Deutlichere Unterschiede zeigen sich in der Industrie: In Ballungsräumen, wo viele energieintensive Betriebe angesiedelt sind, fallen die Schließungszahlen besonders hoch aus. Während Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vergleichsweise geringe Quoten aufweisen, zählen Bremen, Berlin und Brandenburg zu den Schlusslichtern im Bundesländervergleich.
Deutschland steht vor der Herausforderung, wirtschaftliche Rahmenbedingungen grundlegend zu verbessern. Bleiben Reformen aus, droht ein nachhaltiger Substanzverlust – und das Firmensterben dürfte sich weiter beschleunigen.
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