In einer Ausschusssitzung am 14. Juni 2022 stimmten die Parlamentarier in Brüssel gegen den Vorschlag der EU-Kommission, Erdgas und Atomkraft künftig in die europäische Taxonomie der klimafreundlichen Energien aufzunehmen. Anfang Juli könnte diese Idee, die Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin eingebracht hatte, endgültig kippen.
Hintergrund zur Taxonomie
Eine Taxonomie (abgeleitet vom altgriechischen τάξις [táxis] für Ordnung und νόμος [nómos] für Gesetz) dient als Klassifikationsschema der Einordnung von Objekten in eine Kategorie. Mit Taxonomien lassen sich Einzelfälle bewerten und summarische Aussagen treffen, die sogar Zusammenhänge erklären können. Die EU-Taxonomie für den Energiebereich ist ein Klassifizierungssystem, das wirtschaftliche Aktivitäten auf dem Energiesektor bezüglich ihrer Nachhaltigkeit bewertet.
Die Taxonomieregulierung ist erst seit Juni 2020 formal in Kraft. Sie hat zum Ziel, finanzielle Investitionen für die ökologische Transformation der EU-Wirtschaft zu mobilisieren. Seit 2020 wurden hierzu technische Auslegungsdetails festgelegt. Wenn beispielsweise Atomkraft und Erdgas als klimafreundliche Energien taxonomiert werden, können Investoren auf Förderung und darüber hinaus auf die Stabilität ihrer Geldanlagen hoffen. Das müssen sie derzeit anzweifeln: So schaltete Deutschland nach der Kernkraftkatastrophe in Fukushima Atomkraftwerke ab, deren Laufzeitende aus technischen Gründen noch nicht erreicht war.
Eine Aufnahme der betreffenden Technologien in die EU-Taxonomie der klimafreundlichen Energieerzeugung würde wieder Sicherheit auf Jahrzehnte schaffen. Taxonomien definieren Standards und Kriterien, die in diesem Fall europaweit und verbindlich gelten würden. Zentral für die Klima-Taxonomie der EU sind zwei Punkte:
- Die betreffende Technologie muss eine „substanziell positive“ Nachhaltigkeitswirkung für das Klima entfalten.
- Sie darf keinen signifikanten Schaden für die von der EU definierten Umweltziele verursachen.
Es herrscht größtenteils Einigkeit darüber, dass die EU-Taxonomie ein einheitliches europäisches Bewertungssystem schafft, mit dem im Finanzmarkt Label verliehen werden können. Allerdings war die Aufnahme von Atomkraft und Gaskraftwerken in die Klima-Taxonomie von vornherein umstritten. Nun haben ihr die Parlamentarier eine Absage erteilt.
Knappe Mehrheit gegen den Taxonomievorschlag der EU-Kommission
Es ist nicht so, dass die EU-Parlamentarier komplett oder auch mit übergroßer Mehrheit den Vorschlag der EU-Kommission ablehnen. In der besagten Ausschusssitzung am 14. Juni 2022 votierten 76 Abgeordnete dagegen, 62 waren dafür. Gegenstimmen kamen naturgemäß von den Grünen, die hinterher folgerichtig das „starke Signal für die Energiewende in Europa“ begrüßten. Sie hatten sich schon seit Monaten gegen den Kommissionsvorschlag stark gemacht. Aber auch Sozialdemokraten stimmten dagegen, sogar einige konservative Abgeordnete lehnen ein grünes Label für Atomkraft und Gas ab.
Die Abstimmung dürfte relativ genau die Stimmung in der EU-Bevölkerung widerspiegeln, die wohl ebenfalls mehrheitlich einem grünen Anstrich von Atom- und Gaskraftwerken nicht allzu viel abgewinnen kann. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen einzelnen Nationen. In Deutschland ist die Ablehnung der Atomkraft inzwischen sehr stark, in Frankreich ist sie hingegen nur schwach ausgeprägt. Das Land bezieht über 70 % seines Stroms aus Atomkraftwerken.
Welchen Effekt hat die Abstimmung vom 14. Juni 2022?
Es handelt sich um eine Abstimmung in einem Ausschuss, der den Kommissionsvorschlag bewertet. Das Ergebnis hat für das EU-Parlament und die Kommission zunächst keine bindende Wirkung, entfaltet aber eine starke Signalwirkung. Das EU-Parlament wird Anfang Juli über das Thema abstimmen. Wenn von den über 700 EU-Parlamentariern wiederum die Mehrheit gegen den Kommissionsvorschlag stimmt, fällt er endgültig durch. Das ist nach Lage der Dinge zu erwarten, weil die meisten Abgeordneten die Meinung von Ausschussmitgliedern durchaus schätzen. Immerhin haben sich diese gründlich mit der Materie beschäftigt.
Positionen einzelner Regierungen zur Taxonomie von Atomkraft
Erwartungsgemäß lobbyiert Frankreich für grüne Atomkraftwerke, die deutsche Bundesregierung hingegen hat ihre Meinung geändert. Vor einigen Monaten hatte sie den Vorschlag noch befürwortete, nun ist sie dagegen. Frankreich dürfte sich allerdings noch sehr stark dafür einsetzen: Das Land muss alternde Atomreaktoren erneuern und hofft auf private Investitionen in Milliardenhöhe.