Weniger Umweltprüfungen und keine verpflichtende Kennzeichnung im Supermarkt: Die EU will ihre Regeln für den Umgang mit bestimmten Produkten aus Gentechnik lockern. Darauf einigten sich Vertreter aus dem Europaparlament und dem Rat der 27 EU-Länder in der Nacht zum Donnerstag. Kritiker konnten sich mit ihren Verbraucherschutz- und patentrechtlichen Bedenken nicht durchsetzen.
Worum geht es?
Die EU will die Vorschriften für den Einsatz sogenannter Neuer Genomischer Verfahren (NGT) deutlich lockern und dafür zwei Kategorien für genetisch veränderte Pflanzen einführen. In der ersten Kategorie sollen Sorten mit begrenzten genetischen Eingriffen fallen, etwa durch die „Gen-Schere“ Crispr-Cas. Für Pflanzen mit mehr genetischen Veränderungen sollen weiter strengere Vorschriften gelten.

Bei der Entwicklung neuer Sorten könnte Gentechnik dadurch deutlich häufiger zum Einsatz kommen. Befürworter erhoffen sich neue Pflanzen, die sich besser an klimatische Veränderungen anpassen können, weniger Wasser benötigen oder resistenter gegenüber Krankheiten sind. Sie argumentieren, dass die Eingriffe eine herkömmliche Züchtung lediglich beschleunigen.
Was ändert sich im Supermarkt?
Lebensmittel sollen keinen Hinweis tragen, wenn sie gentechnisch veränderte Pflanzen aus der ersten Kategorie enthalten: Nur noch das Saatgut soll gekennzeichnet werden.
Welche Auswirkungen auf die Umwelt gibt es?
Bislang müssen genetisch veränderte Sorten vor einer Zulassung aufwendig auf mögliche Risiken für die Umwelt geprüft werden. Solche Risikoprüfungen sollen nach der Reform entfallen. Im Biolandbau sollen genetische Sorten jedoch weiterhin nicht eingesetzt werden dürfen.
Allerdings könnte es für Pflanzen der ersten Kategorie künftig keine sogenannten Nachweispflichten mehr geben: Bislang muss die gesamte Lieferkette zurückverfolgbar sein und dokumentiert werden, welcher Landwirt die Sorten auf welchen Flächen ausgesät hat. Ohne die Nachweispflichten könnten die neuen Sorten etwa durch den Wind auch auf Felder von Betrieben gelangen, die selbst keine Gentechnik verwenden, ohne dass diese es merken.
Was gilt für das Patentrecht?
Die EU will Patente auf die neuen Sorten und Technologien erlauben. Der Kompromiss sieht eine öffentliche Datenbank vor, in der alle Patente auf Gentechnik-Methoden und Saatgut hinterlegt werden sollen. So soll die Gefahr für Saatguthersteller verringert werden, unabsichtlich Patente zu missachten und Gerichtsverfahren zu riskieren.
Mehrere EU-Länder und Europaabgeordnete hatten in den Verhandlungen Bedenken geäußert, weil die patentrechtliche Lage nicht geklärt sei. Die Befürchtung: Große Agrarkonzerne könnten sich Patente sichern, mittelständische Saatguthersteller könnten leer ausgehen. Die Kritiker konnten sich aber nicht durchsetzen.
Wie geht es nun weiter?
Das Europaparlament und die 27 EU-Länder müssen den Kompromiss noch verabschieden. Der Rat der Mitgliedstaaten konnte die meisten seiner Forderungen in den Verhandlungen durchsetzen, eine Mehrheit gilt deshalb als praktisch gesichert.
Das Europaparlament machte jedoch weitreichende Zugeständnisse. Das liegt unter anderem daran, dass ein Mandat für die Verhandlungen noch aus der vergangenen Legislaturperiode stammte und teils mit einer Mitte-Links-Mehrheit beschlossen worden war, die im aktuellen Parlament nicht mehr genügend Stimmen hat.
Abgeordnete von Grünen und Sozialdemokraten warfen der zuständigen Verhandlungsführerin – der konservativen Schwedin Jessica Polfjärd – deshalb vor, sie habe das Mandat über Bord geworfen. Solche Zugeständnisse könnten von einer Mehrheit mit den Rechtsaußen-Fraktionen im Parlament getragen werden.
AFP
