In der Schweiz herrscht politischer Konsens, erneuerbare Energien schnell zu fördern. Ein entsprechendes Gesetz ist fast beschlossen. Aber Forscher der ETH Zürich warnen, dass die gesteckten Ziele nicht erreichbar sein könnten. Insbesondere für Wind- und Solarenergie zeigen die Prognosen Defizite bis 2035 und auch für 2050. Zusätzlich gibt es Sorgen um starke Schwankungen im Stromnetz. Zu viel Strom im Sommer und eine kritische Lücke im Winter von bis zu 10 Terawattstunden. Früher waren es nur 4 Terawattstunden (NZZ: 12.09.23).
Kernkraft als Game-Changer? ETH-Studie enthüllt Lösungen für Schweizer Energielücke
Das Energy Science Center der ETH analysierte, wie Kernkraftwerke zur Lösung dieser Probleme beitragen könnten. Die Forscher betrachteten verschiedene Möglichkeiten, etwa die Laufzeiten der bestehenden Kraftwerke zu verlängern oder sogar ein neues Kernkraftwerk zu bauen. Im Vergleich zur aktuellen Situation könnten diese Optionen die Versorgungslücke im Winter verkleinern und die Energiekosten reduzieren.
Die Studie hat das Potenzial, die Debatte über die Energiestrategie der Schweiz neu zu beleuchten. Sie legt nahe, dass Kernkraft eine nützliche Option für die zukünftige Energieversorgung des Landes sein könnte.
Längere Betriebszeit bringt Vorteile
Die Studienergebnisse sind klar: Mehr Betriebsjahre für die vier Kernkraftwerke machen die Energieversorgung kostengünstiger und verlässlicher. Verlängert man zum Beispiel die Laufzeit von Gösgen und Leibstadt um 10 Jahre, minimieren sich die Winter-Nettoimporte deutlich. Bei 80 Betriebsjahren für diese und 65 für Beznau I und II könnte die Winter-Stromlücke fast komplett gefüllt sein. Diese Verlängerung könnte bis 2050 etwa 3 Milliarden Franken sparen, und im Fall einer 65/80-Jahre-Regelung sogar 11 Milliarden. Dabei gingen die Forscher vorsichtig davon aus, dass 10 zusätzliche Betriebsjahre je Reaktor rund eine Milliarde Franken kosten.
Niedrigere Strompreise dank längerem Betrieb
Längere Betriebszeiten würden auch die Stromkosten für Konsumenten senken. Teure Reservekraftwerke könnten weniger zum Einsatz kommen, was zu 10 bis 25 Prozent günstigeren Strompreisen führt.
Netzkosten nicht berücksichtigt, aber wahrscheinlich geringer Die Studie hat die Netzausbaupreise nicht berücksichtigt. Allerdings passen Kernkraftwerke besser in die bestehende Infrastruktur und benötigen weniger Speichertechnologie, was die Netzkosten verringert.
Schwankende Auslastung der Kernkraftwerke
Laut ETH-Studie könnte die starke Nutzung von Solarstrom dazu führen, dass Kernkraftwerke weniger ausgelastet sind. Christian Schaffner, Direktor des Energy Science Centers der ETH, erklärte, dass Kernkraftwerke in Zeiten geringer erneuerbarer Energieproduktion betrieben werden könnten.
Saisonal bedingte Abschaltung als Option
Eine temporäre Stilllegung, vor allem im Sommer, könnte sinnvoll sein. Allerdings ist unklar, ob die Kernkraftwerke unter diesen Bedingungen noch profitabel laufen könnten oder zusätzliche Subventionen benötigen. Im Gegensatz zu alten Reaktoren könnten neue Anlagen ihre Leistung schneller anpassen.
Kernkraft als Schlüssel zur Energiekrise?
Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder betont, bestehende Kernkraftwerke sollten am Netz bleiben, sofern sie sicher sind. Er erinnert an das Beispiel Deutschlands und warnt vor einem weiteren Fall wie beim Berner Kernkraftwerk Mühleberg, das 2019 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen hat.
Christian Schaffner von der ETH gibt zu bedenken, die Studie dürfe nicht als Ausrede dienen, erneuerbare Energien zu vernachlässigen. Er erklärt, dass die reine Verlängerung der Laufzeit vorhandener Kernkraftwerke nicht ausreicht, um alle Versorgungsprobleme zu lösen. Für eine klimafreundliche Energieversorgung bis 2050 muss die Schweiz weiterhin in erneuerbare Energien investieren.
Die Studie zeigt auch, dass ein neues Kernkraftwerk mit 1,6 Gigawatt Leistung Systemkosten von 12 Milliarden Franken sparen könnte. Ob sich die Investition langfristig lohnt, ist allerdings unsicher. Insbesondere die Finanzierungskosten könnten problematisch sein. Schaffner stellt fest, dass zu viele Unklarheiten bestehen, um definitive Aussagen über die Wirtschaftlichkeit neuer Kernkraftwerke zu treffen.
Trotz dieser Unsicherheiten sieht Mäder die Notwendigkeit, neue Kernkraftwerke zu planen. Er meint, der jüngste Volksentscheid im Wallis bestätige, dass Kernkraft für die Versorgungssicherheit, den Wirtschaftsstandort und das Erreichen der Klimaziele unerlässlich sei.
Kernkraft und alpine Solaranlagen sind beide wichtig, um die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. Solaranlagen in den Alpen und Windparks könnten besonders im Winter viel Strom erzeugen. Christian Schaffner von der ETH meint, ohne schnellen Ausbau erneuerbarer Energien kann man nicht schnell auf Kernkraft verzichten.
Eine Herausforderung ist die Finanzierung. Subventionen für alpine Solarprojekte laufen 2025 aus. Die ETH-Studie zeigt, ohne diese Gelder ist der Ausbau dort kaum machbar.
Die Studie verdeutlicht: Man kann nicht gleichzeitig gegen Solarprojekte in den Alpen sein und schnell aus der Kernenergie aussteigen wollen. Ohne großflächige Solarenergie müsste die Schweiz entweder an den Kernkraftwerken festhalten oder ein neues bauen.
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