Die Begriffe „Dunkelflaute“ und „Deindustrialisierung“ galten lange Zeit als Schlagworte, die Kritiker der Energiewende und Industriepolitik gern nutzten, um Ängste zu schüren. Doch was einst als übertriebene Polemik abgetan wurde, hat sich in den vergangenen Jahren zu greifbaren Herausforderungen entwickelt. Diese Entwicklung macht deutlich, dass Realität und vermeintliche Mythen oft näher beieinanderliegen, als man glaubt (handelsblatt: 01.12.24).
Dunkelflauten: Ein unterschätztes Risiko
Die Dunkelflaute, also die Kombination aus Windstille und Sonnenarmut, war ursprünglich ein Konzept, das Gegner der Energiewende ins Spiel brachten, um auf mögliche Schwächen eines rein erneuerbaren Energiesystems hinzuweisen. Inzwischen zeigen reale Begebenheiten, dass diese Schwachstellen nicht ignoriert werden können. Besonders deutlich wurde dies, als Markus Krebber, Vorstandsvorsitzender von RWE, vor einem potenziellen Blackout warnte. Er forderte den zügigen Bau von Reservekapazitäten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Derartige Alarmmeldungen kommen nicht aus einem politischen Lager, sondern von Insidern der Energiewirtschaft, die tagtäglich mit den technischen und wirtschaftlichen Realitäten konfrontiert sind.
Die Kosten für fehlende Kapazitäten steigen, während gleichzeitig die Zeit, das Problem zu lösen, immer knapper wird. Die Realität der Dunkelflauten lässt sich kaum mehr leugnen, und selbst internationale Beobachter erkennen die Herausforderungen eines unzureichend diversifizierten Energiesystems an.
Deindustrialisierung: Strukturwandel oder ernste Gefahr?
Ähnlich wie die Dunkelflaute wurde auch die Deindustrialisierung lange als Panikmache abgetan. Heute zeigt sich jedoch, dass die Gefahr real ist. Zwar argumentieren einige Ökonomen, wie etwa die Experten des Ifo-Instituts, dass von einer unmittelbaren Deindustrialisierung keine Rede sein könne. Sie führen an, dass die Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes seit 2015 um sieben Prozent gestiegen ist, obwohl die industrielle Produktion im selben Zeitraum preisbereinigt um sechs Prozent sank.
Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich durch eine strategische Verlagerung erklären: Unternehmen setzen zunehmend auf Forschung, Entwicklung und hochwertige Produkte, die eine Preisprämie erzielen. Diese Strategie, oft als „Klasse statt Masse“ bezeichnet, hilft, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Doch diese Premiumstrategie ist kein Allheilmittel. Sie funktioniert nur, solange die Unternehmen technologisch führend bleiben und die höheren Preise vom Markt akzeptiert werden.
Steigende Standortkosten als Achillesferse
Die hohen Kosten in Deutschland stellen eine zunehmende Herausforderung dar. Steigen diese weiter, geraten selbst Unternehmen mit innovativen Produkten unter Druck. Die Voraussetzungen, die bislang die deutsche Industrie stabilisierten, könnten dadurch bröckeln. Schon heute zeigt das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrats der Bundesregierung, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert hat.
Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Folgen. Arbeitsplätze, die durch Verlagerung ins Ausland verloren gehen, schwächen nicht nur die Regionen, sondern auch das soziale Gefüge. Die Gefahr eines schleichenden Wohlstandsverlusts wird damit immer greifbarer.
Handlungsoptionen: Zeit ist der entscheidende Faktor
Noch besteht die Möglichkeit, gegenzusteuern. Die Industrie benötigt jedoch klare Rahmenbedingungen, die sowohl Innovation fördern als auch die hohen Standortkosten abmildern. Investitionen in moderne Infrastruktur, Energieeffizienz und Bildung könnten dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern. Doch je länger politische Entscheidungen auf sich warten lassen, desto höher wird der Druck.
Die Realität zeigt, dass Dunkelflauten und Deindustrialisierung keine abstrakten Konzepte mehr sind. Was einst als Verschwörungstheorie abgetan wurde, entwickelt sich zu einer zentralen Herausforderung für Deutschland. Ob die nötigen Schritte rechtzeitig erfolgen, wird über die Zukunft der deutschen Industrie und damit des gesamten Wirtschaftsstandorts entscheiden.
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